Die vorgenannten Entscheidungen betreffen den europarechtlichen Kontext. Verfassungsrechtlich ist jedoch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums zu berücksichtigen (insb. Urt. v. 9.2.2010 – 1 BvL 1/09 und v. 18.7.2012 – 1 BvL 10/10). Dieses Grundrecht stellt ein Menschenrecht dar, welches gleichermaßen deutschen und ausländischen Staatsangehörigen zusteht. Es gewährt einen unmittelbaren verfassungsrechtlichen Leistungsanspruch der auf das sog. soziokulturelle Existenzminimum gerichtet ist.
Das BSG hat durch Urteil vom 3.12.2015 (B 4 AS 44/15 R, NJW 2016, 1464, s.a. Anm. Greiser jM 2016, 156 und Berlit juris PR-SozR 11/2016 Anm. 1; ebenso Urt. v. 3.12.2015 – B 4 AS 59/13 R) entschieden, dass die dort von einer rumänischen Familie erhobenen Leistungsansprüche zwar dem Leistungsausschluss des § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II unterfallen, jedoch bestehe ein Anspruch auf Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem SGB XII (Sozialhilfe) gegen den beigeladenen Sozialhilfeträger. Zwar enthalte § 23 Abs. 3 S. 1 Alt. 2 SGB XII einen mit § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II vergleichbaren Ausschluss von Arbeitssuchenden von der Sozialhilfe, der im vorliegenden Fall auf die Kläger anzuwenden sei. Dies schließe aber lediglich einen Anspruch auf Leistungen nach § 23 Abs. 1 S. 1 SGB XII aus, nicht aber die Gewährung nach § 23 Abs. 1 S. 3 SGB II, wonach Sozialhilfe gewährt werden kann (es besteht insofern Ermessen des Leistungsträgers) soweit dies im Einzelfall gerechtfertigt ist. Das BSG interpretiert diese Vorschrift aus Gründen der Systematik des Sozialhilferechts und der verfassungsrechtlichen Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts so, dass im Falle eines "verfestigten Aufenthalts" – der ab einem Zeitraum von sechs Monaten angenommen wird – das Ermessen in dem Sinne auf Null reduziert ist, dass regelmäßig zumindest Hilfe zum Lebensunterhalt in gesetzlicher Höhe zu erbringen ist.
Der 14. Senat des BSG hat sich dieser Rechtsprechung angeschlossen (Urt. v. 16.12.2015 – B 14 AS 18/14 R und B 14 AS 33/14 R).
Hinweis:
Die Bundesregierung beabsichtigt offenbar, diese Rechtsprechung des BSG "auszuhebeln". In Deutschland lebende EU-Bürger sollen künftig erst dann Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II und SGB XII haben, wenn sich der Aufenthalt ohne staatliche Unterstützung nach einem Zeitraum von fünf Jahren verfestigt hat. Für die Zeit davor soll lediglich ein Anspruch auf einmalige Überbrückungsleistungen für vier Wochen gegeben sein, der den unmittelbaren Bedarf für Essen, Unterkunft, Körper- und Gesundheitspflege deckt, zzgl. eines Darlehens für Rückreisekosten in das Heimatland, wo sie anschließend Sozialhilfe beantragen könnten (s. Fachdienst Sozialversicherungsrecht 2016, Nr. 10, 377752; zum Ganzen s. ferner Wunder SozSich 2016, 198).
Die Instanzgerichte folgen dem BSG weithin nicht. Teils wird sogar in einstweiligen Rechtsschutzverfahren PKH verweigert (LSG BE-BB, Beschl. v. 22.1.2016 – L 29 AS 20/16 B ER). Das SG Mainz folgt dem BSG ebenfalls nicht, hat aber dem BVerfG die Frage vorgelegt, ob der Leistungsausschluss verfassungsgemäß ist (SG Mainz, Beschl. v. 18.4.2016 – S 3 AS 149/16).