Immer wieder spielen in der Rechtsprechung der Obergerichte auch die mit der Annahme von Vorsatz bei der Trunkenheitsfahrt zusammenhängenden Fragen eine Rolle. Diese Problematik hat ggf. Auswirkungen auf die Höhe der Strafe, die Länge der Sperrfrist (§§ 69, 69a StGB) und auch auf den Rechtschutzversicherungsschutz. Zu der Frage hatte man länger nichts vom BGH gehört. Dieser hat sich jetzt aber wieder mit einer zur Veröffentlichung in BGHSt bestimmten Entscheidung zu Wort gemeldet, was deren Bedeutung unterstreicht (vgl. BGH, Beschl. v. 9.4.2015 – 4 StR 401/14, VRR 6/2015, 13 = StRR 2015, 232).
Im entschiedenen Fall hatte das LG den Angeklagten wegen vorsätzlicher Trunkenheit im Verkehr (§ 316 StGB) verurteilt. Dazu hat es ein auffälliges Verhalten und Fahrverhalten des Angeklagten sowie eine BAK von 1,24 ‰ und den Nachweis der Einnahme von Cannabinoiden festgestellt. Das LG war davon ausgegangen, dass der Angeklagte zumindest mit Eventualvorsatz gehandelt habe.
Die Revision des Angeklagten hatte Erfolg. Der BGH (a.a.O.) führt zur Begründung aus, dass es zwar keinen naturwissenschaftlich oder medizinisch gesicherten Erfahrungssatz gebe, dass derjenige, der eine Alkoholmenge trinkt, die zu einer die Grenze der absoluten Fahruntüchtigkeit übersteigenden Blutalkoholkonzentration führt, seine Fahruntüchtigkeit auch erkennt. Bei Prüfung der Frage, ob ein Fahrzeugführer den Tatbestand des § 316 StGB bedingt vorsätzlich verwirklicht habe, sei aber eine solche BAK ein gewichtiges Beweisanzeichen für das Vorliegen vorsätzlichen Handelns. Diese in Rechtsprechung und Schrifttum nahezu einhellig vertretene Auffassung ändere aber nichts an der Geltung des Grundsatzes der freien richterlichen Beweiswürdigung gem. § 261 StPO, wonach der Tatrichter den Grad der Alkoholisierung mit dem ihm zukommenden Gewicht – für sich genommen oder zusammen mit anderen Indizien – in seine Überzeugungsbildung vom Vorliegen bedingt vorsätzlichen oder fahrlässigen Handelns einzubeziehen habe. Der Tatrichter sei deshalb durch § 261 StPO nicht gehindert anzunehmen, dass eine BAK umso eher für eine vorsätzliche Tat spreche, je höher sie sei (vgl. BGH VRS 65, 359, 361). Er müsse sich jedoch bewusst sein, dass er sich lediglich auf ein (widerlegbares) Indiz stütze, das zwar gewichtig sei, aber im Einzelfall der ergänzenden Berücksichtigung anderer Beweisumstände bedürfen könne. Wolle er die Annahme bedingten Vorsatzes damit begründen, dass ein Täter mit einer hohen BAK im Allgemeinen wisse, dass er große Mengen Alkohol getrunken habe, so dass sich ihm die Möglichkeit einer Fahruntüchtigkeit aufdränge, müsse er erkennen lassen, dass er lediglich einen Erfahrungssatz mit einer im konkreten Fall widerlegbaren Wahrscheinlichkeitsaussage zur Anwendung bringt, nicht aber einen wissenschaftlichen Erfahrungssatz. Andererseits könne – wenn keine Besonderheiten vorliegen – auch im Einzelfall schon allein die die Aufnahme einer die Grenze zur absoluten Fahruntüchtigkeit von 1,1 ‰ nur knapp überschreitenden Alkoholmenge dem Tatrichter die Überzeugung von einer vorsätzlichen Tatbegehung verschaffen (vgl. OLG Koblenz NZV 2008, 304; 2001, 357; OLG Celle NZV 2014, 283 = StRR 2014, 114 = VRR 2014, 149).
Nicht vereinbar mit den vorgenannten Grundsätzen ist nach Auffassung des BGH ferner die obergerichtliche Rechtsprechung, soweit sie annehme, bei weit über dem Grenzwert zur absoluten Fahruntüchtigkeit liegenden BAK-Werten verringere sich die Erkenntnis- und Kritikfähigkeit in einer den Vorsatz ausschließenden Weise und es trete (erneut) vorsatzausschließender Glaube an die Fahrtüchtigkeit ein (so etwa KG Berlin NStZ-RR 2015, 91 = VA 2015, 67; NStZ-RR 2014, 321; OLG Brandenburg BA 47, 33 (2010); OLG Zweibrücken BA 37, 191 (2000); OLG Hamm NZV 1999, 92). Denn diese Auffassung beruhe auf einem nicht vorhandenen Erfahrungssatz. Vielmehr beseitige eine bei steigender BAK möglicherweise eintretende Selbstüberschätzung der eigenen Leistungsfähigkeit nicht die Kenntnis, eine große Menge Alkohol im Blut zu haben und nach den geltenden Regeln deshalb nicht mehr fahren zu dürfen. Dass bei Blutalkoholkonzentrationen von mehr als 2 ‰ die Steuerungsfähigkeit bzw. das Hemmungsvermögen erheblich herabgesetzt sein kann, ändere daher regelmäßig nichts an der für den Vorsatz allein maßgeblichen Einsicht, dass das Fahren im öffentlichen Verkehr in diesem Zustand verboten sei. Dass der Fahruntüchtige möglicherweise hofft, die vorgesehene Fahrstrecke unfallfrei bewältigen zu können, lasse den Vorsatz unberührt. Erst wenn durch den Grad der Trunkenheit die Einsichtsfähigkeit nachhaltig beeinträchtigt sei, komme ein Vorsatzausschluss in Betracht.
Hinweis:
Letztlich enthält die Entscheidung nichts wesentlich Neues. Sie fasst aber die obergerichtliche Rechtsprechung zu der Problematik, über die an dieser Stelle auch schon häufiger berichtet worden ist, schön zusammen (zur OLG-Rspr. aus neuerer Zeit s.u.a. KG VRS 126, 95; NStZ-RR 2015, 91 = VA 2015, 67; OLG Brandenburg VA 2013, 136; OLG Celle NZV ...