In der Praxis stellt sich häufig die Frage, ob der Rechtsanwalt an die von ihm einmal nach billigem Ermessen gem. § 14 Abs. 1 RVG getroffene Bestimmung einer Rahmengebühr gebunden ist oder ob er nachträglich seine Bestimmung ändern und eine höhere Gebühr von dem Auftraggeber fordern kann.
1. Gesetzliche Ausgangslage
Gemäß § 14 Abs. 1 RVG bestimmt der Rechtsanwalt bei Rahmengebühren die Gebühr im Einzelfall unter Berücksichtigung aller Umstände, v.a. des Umfangs und der Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit, der Bedeutung der Angelegenheit sowie der Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Auftraggebers, nach billigem Ermessen. Die Ausübung des dem Rechtsanwalt in § 14 Abs. 1 S. 1 RVG eingeräumten Ermessens erfolgt gem. § 315 Abs. 2 BGB durch Erklärung gegenüber dem Mandanten. Diese Erklärung wird in der Praxis selten einmal ausdrücklich erklärt. Sie erfolgt stillschweigend durch Abrechnung der Rahmengebühr nach dem nach Ansicht des Anwalts angemessenen Gebührensatzes (bei Satzrahmengebühren) bzw. des angemessenen Gebührenbetrags (bei Betragsrahmengebühren) in seiner Kostenberechnung und der Mitteilung dieser Kostenberechnung an den Mandanten (§ 10 RVG).
Erstaunlicher Weise erfordert § 10 Abs. 2 S. 1 RVG bei Satzrahmengebühren nicht die Angabe des von dem Rechtsanwalt angesetzten Gebührensatzes. Anzugeben sind nach dieser Vorschrift nämlich lediglich die Beträge der einzelnen Gebühren, eine kurze Bezeichnung des jeweiligen Gebührentatbestands, die angewandten Nummern des Vergütungsverzeichnisses des RVG und bei Gebühren, die nach dem Gegenstandswert berechnet werden, auch der Gegenstandswert. Folglich würde es den Anforderungen des § 10 Abs. 2 S. 1 RVG genügen, wenn der Rechtsanwalt für den Ansatz einer Geschäftsgebühr folgende Angaben macht:
Geschäftsgebühr, Nr. 2300 VV RVG (Wert: 10.000 EUR) |
798,20 EUR |
Die Angabe, dass es sich dabei um eine 1,3 Geschäftsgebühr nach dem angegebenen Gegenstandswert handelt, erfordert der Gesetzeswortlaut nicht. Gleichwohl wird – gewissermaßen über den Gesetzeswortlaut hinaus – auch die Angabe des Gebührensatzes gefordert (LG Freiburg AGS 2012, 222; AnwKomm-RVG/N. Schneider, a.a.O., § 10 RVG Rn 26). Ohne Angabe des Gebührensatzes kann der Auftraggeber nämlich allein anhand der Vergütungsrechnung und dem RVG nicht überprüfen, ob der von dem Rechtsanwalt angesetzte Gebührenbetrag zutreffend ist. Andererseits bereitet es dem Rechtsanwalt keinerlei Schwierigkeiten, den Gebührensatz anzugeben, da er weiß, nach welchem Gebührensatz er die berechnete Geschäftsgebühr abgerechnet hat. Demzufolge gibt es in der Praxis kaum einmal einen Fall, in dem eine Vergütungsberechnung den Gebührensatz einer Satzrahmengebühr nicht enthält. Gelegentlich stellt sich in der Praxis die Frage, ob der Rechtsanwalt an die von ihm getroffene Bestimmung einer Rahmengebühr gebunden ist.
2. Der Fall des BGH
Dem BGH (AGS 2021, 262 [N. Schneider] = JurBüro 2021, 25) lag folgender Sachverhalt zur Entscheidung vor. In jenem Fall hatten sich Eheleute im Laufe des Jahre 2013 getrennt. Der Ehemann suchte den Kläger Anfang 2014 auf und bat ihn zunächst um außergerichtliche Vertretung. Die Ehefrau hatte ihn nämlich kurz vorher angeschrieben und die Punkte Unterhalt, Zugewinnausgleich und Vermögensaufteilung angesprochen. In der Folgezeit wurde der Rechtsanwalt für den Ehemann außergerichtlich tätig. Dabei ging es auch um den Gesamtschuldnerausgleich betreffend einen von den Eheleuten gemeinsam aufgenommenen Kredit. Im Mai 2014 beantragte der Rechtsanwalt für den Beklagten auftragsgemäß die Scheidung nebst Versorgungsausgleich. In diesem Verfahren beantragte der Rechtsanwalt namens des Beklagten vor dem Familiengericht auch, die Ehefrau zu verurteilen, an ihn, den Beklagten, wegen seit der Trennung bereits erfolgter Zahlungen auf einen gemeinsam aufgenommenen Kredit einen bestimmten Betrag zu zahlen und den Ehemann von den Kreditforderungen des Darlehensgebers freizustellen. Nachdem der Ehemann das Mandat gekündigt hatte, rechnete der Anwalt gegenüber dem Beklagen im Oktober 2014 seine Tätigkeiten mit vier Rechnungen ab. In sämtlichen Vergütungsberechnungen setzte der Rechtsanwalt eine 1,3 Geschäftsgebühr nach Nr. 2300 VV RVG an. Die vierte Vergütungsberechnung vom 17.10.2014 enthielt für die außergerichtliche und gerichtliche Vertretung des Ehemanns in der Sache Gesamtschuldnerausgleich eine 1,3 Geschäftsgebühr nach Nr. 2300 VV RVG und eine 1,3 Verfahrensgebühr nach Nr. 3100 VV RVG. Der Ehemann zahlte die ersten drei Rechnungen, die letztgenannte Rechnung vom 17.10.2014 jedoch nicht. Er vertrat nämlich die Auffassung, die außergerichtliche Vertretung in der Sache Gesamtschuldnerausgleich gehöre zur selben gebührenrechtlichen Angelegenheit betreffend die in einer der anderen Vergütungsberechnungen bereits abgerechneten Tätigkeit der finanziellen Auswirkungen der Trennung und Scheidung.
Im Verlaufe des Rechtsstreits – auf welche Weise lässt sich den mitgeteilten Urteilsgründen nicht entnehmen – hat der Rechtsanwalt nachträglich statt der ursprünglich geltend gemach...