Zusammenfassung
Das Arbeitszeitgesetz (ArbZG) bildet den öffentlich-rechtlichen Rahmen der Arbeitszeitgestaltung und ist ein Instrument des sozialen Arbeitsschutzes. Sein Ziel ist insb., die Sicherheit und den Gesundheitsschutz der Arbeitnehmer bei der Gestaltung der Arbeitszeit zu gewährleisten. Weitere Regelungen zur Arbeitszeit und ergänzende Vorschriften zum Schutz von Kindern und Jugendlichen enthält das Jugendarbeitsschutzgesetz (JArbSchG). Es schützt Kinder und Jugendliche vor Arbeit, die zu früh beginnt, zu lange dauert, zu schwer ist, Kinder und Jugendliche gefährdet oder für sie ungeeignet ist (vgl. Referentenentwurf BMAS, Begründung zum ArbZG-E v. 18.4.2023, S. 8). Dieser Beitrag gibt einen Überblick über das derzeit kontrovers diskutierte, facettenreiche Thema Arbeitszeit sowie die recht- und gesetzlichen Vorgaben zu ihrer Erfassung auf europäischer und nationaler Ebene aus der Sicht des im Arbeitsrecht beratenden anwaltlichen Praktikers.
I. Grundrechtliche Absicherung und europäischer Rechtsrahmen
1. Grundrechtliche Absicherung
Das Recht eines jeden Arbeitnehmers auf eine Begrenzung der Höchstarbeitszeit und auf tägliche und wöchentliche Ruhezeiten ist nicht nur eine Regel des Sozialrechts der Europäischen Union, die besondere Bedeutung hat, sondern es ist auch in Art. 31 Abs. 2 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (GRCh), der nach Art. 6 Abs. 1 EUV der gleiche rechtliche Rang wie den Verträgen zukommt, ausdrücklich verbürgt (vgl. EuGH, Urt. v. 14.5.2019 – C-55/18, Rn 30 = ZAP EN-Nr. 351/2019 [Ls.]; krit. Höpfner/Daum, RdA 2019, 270, 275).
Dass das Arbeitszeitrecht eine grundrechtliche Absicherung erfährt, ist weder völlig neu (zur Rückkehr der unmittelbar-horizontalen Grundrechtswirkung Wank, RdA 2020, 1; Kainer, NZA 2018, 894; Seifert, EuZA 2013, 299), noch stellt es eine Besonderheit des Unionsrechts dar. Auch im deutschen Recht ist der Schutz der Arbeitnehmer durch Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG, das Sozialstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 1 GG) sowie Art. 140 GG i.V.m. Art. 139 WRV – wenngleich auch nur in den Grundlinien – verfassungsrechtlich verankert (vgl. Bayreuther, RdA 2022, 290, 301).
2. Richtlinie 2003/88/EG v. 4.11.2003
Die RL 2003/88/EG des Europäischen Parlaments und des Rats über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung (= Arbeitszeit-RL) enthält Mindestvorschriften für die Sicherheit und den Gesundheitsschutz bei der Arbeitszeitgestaltung. Gegenstand der RL sind:
a) |
die täglichen und wöchentlichen Mindestruhezeiten, der Mindestjahresurlaub, die Ruhepausen und die wöchentliche Höchstarbeitszeit sowie |
b) |
bestimmte Aspekte der Nacht- und der Schichtarbeit sowie des Arbeitsrhythmus (Art. 1 RL 2003/88 EG, vgl. Baeck/Winzer, NZA 2020, 96). |
Die RL 2003/88/EG findet grds. keine Anwendung auf die Vergütung der Arbeitnehmer (EuGH, Urt. v. 9.9.2021 – C-107/19, NZA 2021, 1395 „Dopravní podnik hl. m. Prahy”; EuGH, Urt. v. 9.3.2021 – C-344/19, NZA 2021, 485 „Radiotelevizija Slovenija”).
3. Richtline 89/391 EWG v. 12.6.1989
Die RL 89/391/EWG (Arbeitsschutz-Rahmen-RL oder Rahmen-RL Arbeitsschutz) normiert Maßnahmen zur Verbesserung der Arbeitnehmersicherheit und des Gesundheitsschutzes bei der Arbeit. Ihr erklärtes Ziel ist es, die Zahl der Arbeitsunfälle und der berufsbedingten Erkrankungen zu verringern.
4. EuGH-Urt. v. 14.5.2019 – C-55/18 „CCOO”
Den Arbeitgeber trifft die Pflicht, ein objektives, verlässliches und zugängliches System zur Erfassung der gesamten Arbeitszeit eines Arbeitnehmers einzurichten. Das folgt laut EuGH aus den RL 2003/88/EG und 89/391/EWG sowie aus Art. 31 Abs. 2 GRCh (zur Konnexität von Art. 31 Abs. 2 GRCh und der Arbeitszeit-RL Bayreuther, RdA 2022, 290, 291). Der EuGH vertritt die Auffassung, nur so könne die praktische Wirksamkeit dieser Arbeitnehmerschutzvorschriften gewährleistet werden (krit. Höpfner/Daum, RdA 2019, 270). Ohne ein System zur Messung der täglichen Arbeitszeit eines jeden Arbeitnehmers könne weder die Zahl der tatsächlich geleisteten Arbeitsstunden und ihre zeitliche Verteilung noch die Zahl der Überstunden objektiv und verlässlich ermittelt werden, sodass es für Arbeitnehmer äußerst schwierig oder gar praktisch unmöglich sei, ihre Rechte durchzusetzen (vgl. Bauer/Roll, NZA 2021, 1685, 1686; zur Auswirkung des EuGH-Urteils auf das deutsche Arbeitszeitrecht vgl. DGB-Eckpunktepapier v. 10.03.2021 ( https://www.dgb.de/themen/++co++cce90722-6470-11ea-a656-52540088cada ). Der Arbeitnehmer sei als die schwächere Partei des Arbeitsvertrags anzusehen, sodass verhindert werden müsse, dass der Arbeitgeber ihm eine Beschränkung seiner Rechte auferlegen könne. Ein Arbeitnehmer könne aufgrund dieser schwächeren Position davon abgeschreckt werden, seine Rechte gegenüber seinem Arbeitgeber ausdrücklich geltend zu machen, da insb. die Einforderung dieser Rechte ihn Maßnahmen des Arbeitgebers aussetzen könne, die sich zu seinem Nachteil auf das Arbeitsverhältnis auswirken könnten (vgl. EuGH, Urt. v. 14.5.2019 – C-55/18, a.a.O., Rn 44 f. „CCOO” m.w.N.; krit. Höpfner/Daum, RdA 2019, 270, 273 unter Hinweis auf ein „fehlerhaftes Arbeitnehmerbild” und gesetzliche Maßregelungsverbote).
Dem EuGH zufolge müssen die Bestimmungen der Arbeitszeit-RL – namentlich die Art. 3, 5 und 6 RL...