Ob bei der Bewerbung von Nahrungsergänzungsmitteln in Kapselform eine Pflicht zur Angabe des Grundpreises besteht, war lange Zeit rechtlich umstritten, ist nun aber vom BGH geklärt worden (dazu weiter unten).
Nach der Ansicht des OLG Celle (Urt. v. 9.7.2019 – 13 U 31/19) und des OLG Köln (Beschl. v. 26.3.2019 – 6 W 26/19) sollte eine Grundpreisangabe nicht erforderlich sein. Ein Nahrungsergänzungsmittel, das sich aus verschiedenen Komponenten, insb. verschiedenen Wirk- und Füllstoffen, zusammensetzt und das in dieser konkreten Zusammensetzung in einer Art und Weise vorportioniert vertrieben wird, sollte nach Ansicht dieser Gerichte nach der Verkehrsanschauung stückweise vertrieben werden. Anders als bei Kaffeekapseln könnte auch nicht zwischen dem Kapselinhalt (als Lebensmittel) und der Kapsel selbst (als bloßer Verpackung) unterschieden werden, weil bei Nahrungsergänzungsmitteln auch die Kapsel selbst mitverzehrt werde.
Das OLG Düsseldorf (Urt. v. 15.8.2019 – 15 U 55/19) hatte hingegen entschieden, dass die Angabe des Grundpreises nach § 2 PAngV (§ 4 PAngV n.F.) erforderlich ist. Die Frage, ob ein Lebensmittel i.S.d. Ausnahmetatbestands „normalerweise nach Stückzahlen in den Verkehr” gebracht werde, beurteile sich nach der Verkehrsauffassung aus Sicht eines verständigen Durchschnittsverbrauchers. Erfasst seien „stückige” Produkte, wie Obst und Gemüse, Eier, aber auch Backwaren, mithin Produkte, bei denen aus Sicht der Verbraucher das Stück die „natürliche” Mengeneinheit bilde. Ferner hatte das Gericht ausgeführt, dass die im konkreten Fall betroffenen Aminosäureprodukte dem Endverbraucher in verschiedenen Formen, z.B. als Pulver, Liquid, Tablette oder Kapsel, angeboten werden und in den Verkehr gelangen. Eine „natürliche” Mengeneinheit eines Aminosäureprodukts gebe es nicht. Diese Auffassung dürfte nach Ansicht der Verfasser eher mit der Entscheidung des BGH zur Grundpreisangabepflicht für Kaffeekapseln (Urt. v. 28.3.2019 – I ZR 85/18, Kaffeekapseln) in Einklang zu bringen sein.
Das OLG Hamburg (Urt. v. 20.1.2022 – 3 U 66/21) hatte ebenfalls die Grundpreisangabepflicht bei Nahrungsergänzungsmitteln in Kapselform bejaht. Wegen der anderslautenden Entscheidungen hatte das OLG die Revision zum BGH zugelassen.
Mit Urt. v. 23.3.2023 (I ZR 17/22) hat der BGH die Grundpreisangabepflicht für Nahrungsergänzungsmittel-Kapseln bestätigt. Die vom OLG Celle und vom OLG Köln angenommenen Verkehrsanschauungen seien falsch. Da es sich nicht um Tatsachen, sondern um Erfahrungswissen handelt, konnte der BGH das unerfahrene Denken dieser Richter durch das zutreffende Erfahrungswissen (Verkehrsanschauung) ersetzen. Ein Inverkehrbringen nach Stückzahl sei auch nicht allein deswegen anzunehmen, weil es sich bei Aminosäurepräparaten um Nahrungsergänzungsmittel handele. Dass Nahrungsergänzungsmittel gem. § 1 Abs. 1 Nr. 3 NemV Lebensmittel seien, die in dosierter Form in den Verkehr gebracht würden, bedeute nicht zugleich, dass sie nach Stückzahlen in den Verkehr gebracht würden. Dies gelte schon allein deshalb, weil § 1 Abs. 1 Nr. 3 NemV neben „stückigen” Darreichungsformen (wie Kapseln und Pillen) auch unterschiedliche Darreichungsformen von Flüssigkeiten und Pulvern erwähne.
Der Umstand, dass bei Kapseln die Hülle verzehrbar ist, führt entgegen der Annahme der Revision ebenso wenig zu der Folgerung, diese würden aus Sicht der Verbraucher nach Stückzahlen in den Verkehr gebracht.
Das aus § 1 Abs. 7 S. 1 PAngV a.F. (= § 1 Abs. 3 S. 2 PAngV n.F.) folgende Gebot der Preisklarheit und Preiswahrheit stehe der Bewerbung von Nahrungsergänzungsmitteln in Kapselform unter Angabe des Grundpreises ebenfalls nicht entgegen. Anders als die Revision meine, sei eine hieraus resultierende Irreführung des Verkehrs über die Werthaltigkeit der einzelnen Aminosäureprodukte nicht zu befürchten. Das Berufungsgericht habe den entgegenstehenden Vortrag des Beklagten nicht übergangen, sondern sei seiner Auffassung, Aminosäureprodukte seien generell nicht miteinander vergleichbar und Grundpreisangaben nach Gewicht führten den Verkehr in die Irre, lediglich nicht gefolgt.
Auch aus dem Umstand, dass nach § 10 Abs. 1 Nr. 5 u. 6 AMG bei Fertigarzneimitteln die Darreichungsform und der Inhalt nach Gewicht, Nennvolumen oder Stückzahl anzugeben seien, lasse sich entgegen der Auffassung der Revision nichts für die Beantwortung der Frage herleiten, ob Nahrungsergänzungsmittel i.S.v. Nr. 1 Buchst. c des Anhangs IX der LMIV normalerweise nach Stückzahlen in den Verkehr gebracht würden.