Für die Verkehrssicherungspflicht von Baumbestand an öffentlichen Verkehrswegen gilt im Grundsatz derselbe rechtliche Maßstab wie bei jeder anderen Verkehrssicherungspflicht. Das bedeutet, dass der Verantwortliche keine Maßnahmen ergreifen muss, die darauf abzielen, jede mögliche von Bäumen ausgehende Gefahr für die Rechtsgüter anderer auszuschließen. Vielmehr beschränkt sich seine Verkehrssicherungspflicht auf das Ergreifen derjenigen Maßnahmen, die nach den Gesamtumständen zumutbar sind. Sie sind dadurch gekennzeichnet, dass von den Bäumen eine besondere gesteigerte Gefahr ausgeht, weil sie an öffentlichen Verkehrswegen stehen. Deren Benutzung ist grundsätzlich jedermann und zu jeder Zeit erlaubt. Es gibt also keine Beschränkung des geschützten Personenkreises auf bestimmte Benutzer. Allerdings ist auch zu berücksichtigen, dass ein Astabbruch, das Umfallen eines Baums, das unkontrollierte Wachsen von Buschwerk oder das Herüberwachsen von Ästen und Zweigen über die Grundstücksgrenze bzw. in den öffentlichen Verkehrsraum hinein immer ein Naturereignis ist, das i.d.R. nicht beherrscht werden kann und von den Benutzern der Verkehrswege hingenommen werden muss.
Hinweis:
Die Verkehrssicherungspflicht verlangt deshalb keine Schutzmaßnahmen gegen "normale" natürliche Einflüsse auf den Baum. Erst wenn es Anzeichen dafür gibt, dass er z.B. infolge Krankheit oder Alters seine Standfestigkeit verloren hat, dass infolge anderer Ereignisse das Abbrechen eines Astes droht oder dass "Wildwuchs" zu Sichtbehinderungen oder anderen Einschränkungen führt, ist ein Einschreiten geboten.
Demgemäß liegt eine schuldhafte Verletzung der Verkehrssicherungspflicht nur dann vor, wenn Anzeichen verkannt oder übersehen worden sind, die nach der Erfahrung auf eine weitere Gefährdung durch den Baum hinweisen. So hat der BGH (Urt. v. 21.1.1965 – III ZR 217/63, juris Rn 10, 11 = VersR 1965, 475) schon vor mehr als 50 Jahren in einem Fall, in dem es um die Verkehrssicherungspflicht einer Behörde ging, nur dann eine eingehende Untersuchung der Bäume für notwendig erachtet, wenn besondere verdächtige Umstände vorliegen; er hat es nicht für erforderlich gehalten, dass Straßenbäume ständig durch Forstbeamte mit Spezialerfahrung überwacht oder dass gesunde Bäume jährlich durch Fachleute bestiegen werden, die alle Teile des Baums abklopfen oder mit Stangen oder Bohrern das Innere des Baums untersuchen.
An dieser rechtlichen Beurteilung hat sich bis heute nichts geändert. Das verdeutlicht die neueste Entscheidung des BGH (Urt. v. 24.8.2017 – III ZR 574/16) zu diesem Komplex: Darin geht es um das Einwachsen von Wurzeln einer auf dem Wendeplatz einer öffentlichen Straße stehenden Kastanie in den öffentlichen Regenwasserkanal mit der Folge eines Rückstaus im öffentlichen Kanalsystem, wodurch der Keller eines an der Straße gelegenen Wohnhauses überflutet wurde. Der BGH hat wiederum betont, dass es von den Umständen des Einzelfalls abhängt, in welchen Zeitabständen ein Grundstückseigentümer im Rahmen seiner Verkehrssicherungspflicht für einen auf seinem Grundstück stehenden Baum Kontroll- und Überprüfungsmaßnahmen auch in Bezug auf die eventuelle Verwurzelung eines Abwasserkanals durchführen muss. Welcher Art die Kontrollpflichten sind, hänge von der Zumutbarkeit für den Grundstückseigentümer im Einzelfall ab.
Hinweis:
Unterschiedliche Maßstäbe für die Verkehrssicherungspflicht an öffentlichen Verkehrswegen im Hinblick auf private und öffentliche Baumeigentümer gibt es nicht.