Dem BVerfG lagen gerichtliche Vorlageverfahren (Art. 100 Abs. 1 GG) sowie Verfassungsbeschwerden zur Entscheidung vor. Diese hatten zum Gegenstand, ob im Beitragsrecht der sozialen Pflegeversicherung, das – anders als in der gesetzlichen Renten- und Krankenversicherung – kinderbetreuende und -erziehende Versicherte (nachfolgend: Eltern) gegenüber Kinderlosen beitragsrechtlich privilegiert (s. § 55 Abs. 3 S. 2 SGB XI), überdies eine Beitragsdifferenzierung in Abhängigkeit von der Kinderzahl geboten ist. Weitere Verfassungsbeschwerden betrafen die darüber hinausgehende Frage, ob eine beitragsrechtliche Privilegierung der Eltern auch in der gesetzlichen Kranken- und/oder Rentenversicherung geboten ist (BVerfG, Beschl. v. 7.4.2022 – 1 BvL 3/18 u.a., NJW 2022, 2169, hierzu Becker NJW 2022, 2153 und Spellbrink jurisPR-SozR 15/2022 Anm. 1).
Das Gericht geht von dem anerkannten Grundsatz aus, bei der Erhebung von Sozialversicherungsbeiträgen sei die Beachtung des aus dem allgemeinen Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) abgeleiteten Gebots der Belastungsgleichheit erforderlich. Wirken sich Beitragsregelungen innerhalb der Gruppe der Familien zulasten bestimmter Familienkonstellationen nachteilig aus, so muss der Staat zudem den besonderen Schutz beachten, den er der Familie nach Art. 6 Abs. 1 GG schuldet.
Artikel 3 Abs. 1 GG enthält einmal das Gebot, wesentliches Gleiches gleich zu behandeln (Differenzierungsverbot), zum anderen aber auch die Verpflichtung, wesentlich Ungleiches ungleich zu behandeln (Differenzierungsgebot). Für die verfassungsrechtliche Rechtfertigung einer Gleichbehandlung von wesentlich Ungleichem sind im Ausgangspunkt die für die Rechtfertigung von Ungleichbehandlungen geltenden Maßstäbe anzusetzen.
Das BVerfG begründet ausführlich, dass in der sozialen Pflegeversicherung die von der Kinderzahl unabhängige gleiche Beitragsbelastung von Eltern zu einer verfassungsrechtlich nicht gerechtfertigten Gleichbehandlung von wesentlich Ungleichen führt. Somit verstoßen die von der Vorlage des SG umfassten Normen der § 55 Abs. 1 S. 1 und Abs. 3 S. 1 u. 2 SGB XI sowie § 57 Abs. 1 S. 1 SGB XI insoweit gegen Art. 3 Abs. 1 GG, als beitragspflichtige Mitglieder, die Kinder betreuen und erziehen, unabhängig von der Zahl der Kinder in gleicher Weise zu Beiträgen herangezogen werden. Insoweit haben auch die Verfassungsbeschwerden Erfolg.
Anderes gilt hingegen für die gesetzliche Renten- und Krankenversicherung. Hier soll die gleiche Beitragsbelastung von Eltern und Beitragspflichtigen ohne Kinder keine Benachteiligung der Eltern begründen, weil die rentenrechtliche Anerkennung von Kindererziehungszeiten und die beitragsfreie Familienversicherung im Krankenversicherungsrecht einen hinreichenden Nachteilsausgleich bewirke.
Hinweis:
Verfassungsrechtlich bleibt nunmehr das Beitragsrecht der vom Leistungsumfang und folglich ebenso vom Finanzierungsaufwand deutlich bedeutsameren gesetzlichen Renten- und Krankenversicherung unbeanstandet, generative Beiträge dort sind demnach von Verfassungswegen nicht geboten. In seiner Entscheidung vom 3.4.2001 – 1 BvR 1629/94 (NJW 2001,1712) hatte jedoch das BVerfG nicht nur hinsichtlich der Pflegeversicherung entschieden, dass Versicherte, die Kinder betreuen und erziehen, einen generativen Beitrag zur Funktionsfähigkeit eines umlagefinanzierten Sozialversicherungssystem leisten – was den Gesetzgeber dann 2004 veranlasste, den Beitragszuschlag für kinderlose Versicherte durch § 55 Abs. 3 SGB XI einzuführen. Dem Gesetzgeber war damals zusätzlich aufgegeben worden, die Bedeutung des Urteils auch für andere Zweige der Sozialversicherung zu prüfen. An dieser Auffassung wird nicht festgehalten, vielmehr gesteht das Gericht vorliegend dem Gesetzgeber große sozialpolitische Spielräume zu.
Die Verfassungswidrigkeit der vorgelegten gesetzlichen Vorschriften führt nicht notwendig zu deren Nichtigkeit. Insbesondere dann, wenn der Gesetzgeber verschiedene Möglichkeiten hat, den Verfassungsverstoß zu beseitigen, kommt auch eine bloße Unvereinbarkeitserklärung in Betracht, die auch hier ausgesprochen wird, wie dies grundsätzlich bei Verletzungen des Gleichheitssatzes geschieht. Es steht dem Gesetzgeber frei, in welcher Weise er die kinderzahlabhängige Beitragsdifferenzierung schafft, er genießt zudem auch einen weiten Wertungs- und Gestaltungsspielraum hinsichtlich des Ausmaßes der Entlastung und ihrer Gegenfinanzierung. Ferner, so das Gericht, werde sich der Gesetzgeber mit der Frage zu befassen haben, ob er die beitragsrechtliche Privilegierung der Eltern wie bislang lebenslang ausgestalten will, oder auf den Zeitraum, in dem der Erziehungsaufwand (typischerweise) tatsächlich anfällt, beschränkt.
Zwar erstreckt sich die Verpflichtung des Gesetzgebers, eine der Verfassung entsprechende Rechtslage herzustellen, grds. rückwirkend auf den gesamten von der Unvereinbarkeitserklärung betroffenen Zeitraum und erfasst so zumindest alle noch nicht bestandskräftigen Entscheidungen, die auf der für verfassungswidrig e...