Ende 2022 wurde für die Öffentlichkeit mit ChatGPT ein Dialogzugang zu den Large Language Models von OpenAI eröffnet. Seitdem ist die Debatte dazu in den Mittelpunkt der juristischen Aufmerksamkeit gerückt (vgl. zu einem terminologischen Überblick Herberger, ZAP 2023, 465 f.). Obwohl es neben den Sprachmodellen von OpenAI noch zahlreiche weitere Sprachmodelle gibt, richtet sich die dominante Aufmerksamkeit nach wie vor auf die Sprachmodelle von OpenAI, die über ChatGPT erreichbar sind.
Auf der internationalen Bühne war sogleich festzustellen, dass ChatGPT teilweise schon in realen Gerichtsverfahren eingesetzt wurde. Besondere Aufmerksamkeit hat ein Verfahren in Kolumbien auf sich gezogen, in dem ChatGPT bei der Urteilsfindung eine Rolle spielte (vgl. zu den Einzelheiten ChatGPT in Colombian Courts, Why we need to have a conversation about the digital literacy of the judiciary, https://verfassungsblog.de/colombian-chatgpt ).
In Deutschland existiert – soweit ersichtlich – kein Bericht, der einen ChatGPT-Einsatz in Gerichtsverfahren zum Gegenstand hat. Zwischenzeitlich wurden allerdings verschiedene Praxistests durchgeführt, um die Brauchbarkeit dieser Technologie für die juristische Problemlösung zu untersuchen (vgl. z.B. zu einer mietrechtlichen Untersuchung Herrlein/Gelück, NZM 2023, 513 ff.; zu der Thematik „Autofahren unter Alkoholeinfluss” Johannisbauer, MMR-Aktuell 2023, 455537 und zu den Pflichten des Erben bei angeordneter Testamentsvollstreckung Lange, ZEV 2023, 565). Dabei überwiegen bisher die kritischen Stimmen.
Unter dem Eindruck dieser Sondierungen hat sich beim Zweiten Bund-Länder-Digitalgipfel in Berlin am 25.5.2023 die Überzeugung herausgebildet, dass praktischer Nutzen für das Rechtswesen nur durch die Entwicklung eines eigenen KI-Sprachmodells für die Justiz gewonnen werden könne. Deshalb haben sich Bund und Länder u.a. darauf verständigt, die Entwicklung eines solchen Sprachmodells in Angriff zu nehmen. Gestützt darauf haben Nordrhein-Westfalen und Bayern ihre gemeinsame Absicht erklärt, die Entwicklung dieses Sprachmodells zu übernehmen (vgl. Pressemitteilung v. 26.5.2023, www.land.nrw/pressemitteilung/einsatz-kuenstlicher-intelligenz-der-justiz-nordrhein-westfalen-und-bayern ).
Im Juni 2023 fand im Rechtsausschuss des Landtags Nordrhein-Westfalen eine Anhörung von Sachverständigen zum Thema „Einsatz von ChatGPT im Justizbereich” statt (Vorlage 18/1022). Es ging u.a. um die Frage, ob sich ChatGPT für den Einsatz in der Justiz eignet und wenn ja, in welchen Bereichen und in welchem Umfang. Es wurde vorgetragen, dass ChatGPT (losgelöst von der Frage der rechtlichen Zulässigkeit des Einsatzes und losgelöst von der tatsächlichen Leistungsfähigkeit) auf unterschiedlichen Stufen zum Einsatz kommen könne. Auf einer ersten Stufe gehe es um einfache Assistenzaufgaben. Hier sei beispielsweise an Rechtschreib- und Grammatikprüfungen, an Paraphrasierungen, an das Zusammenfassen von Akteninhalten, Aufsätzen oder Urteilen, an tabellarische Aufbereitungen, an Übersetzungen und an die Anonymisierung von Texten zu denken (so Johannisbauer in seiner Stellungnahme 18/590, S. 4). In diese Kategorie dürfte auch das Erstellen von Textvergleichen (vgl. Biallaß, Stellungnahme 18/575, S. 5) bzw. die Führung eines automatisierten Fristenkalenders einzuordnen sein (Nink, Stellungnahme 18/592, S. 34). Kein sinnvoller Einsatz sei es, ChatGPT als Recherchewerkzeug zu verwenden. Denn ChatGPT stelle keine Suchmaschine dar (vgl. Biallaß, a.a.O., S. 4; Nink, a.a.O., S. 8). Davon zu unterscheiden sei eine Unterstützung von ChatGPT in der Form, dass es als Vergleichswerkzeug eingesetzt wird. ChatGPT könne den Fall in einen Kontext zu vorherigen Entscheidungen bringen (vgl. Nink, a.a.O., S. 24). Auf einer zweiten Stufe könne ChatGPT auch zur Erstellung einfacher Schreiben eingesetzt werden. Hier sei an das Verfassen von z.B. prozessleitenden Verfügungen, einfachen Vermerken, Ladungen, Fristverlängerungen, Anforderungen von Akten und Streitwertfestsetzungen zu denken. Auf einer dritten Stufe stünde die Erstellung komplexer Dokumente als Entscheidungsvorschlag, also z.B. das Erstellen von Beschluss- und Urteilsentwürfen (so Johannisbauer, a.a.O., S. 4 ff. mit zahlreichen weiteren Details).