Die Umsetzung der EU-Richtlinie 2016/1919 über Prozesskostenhilfe für Verdächtige und beschuldigte Personen in Strafverfahren sowie für gesuchte Personen in Verfahren zur Vollstreckung eines Europäischen Haftbefehls war Ende Oktober Gegenstand einer Expertenanhörung im Bundestagsausschuss für Recht und Verbraucherschutz. Die EU-Richtlinie wäre eigentlich schon bis zum 5.5.2019 in deutsches Recht umzusetzen gewesen. Ein entsprechender Regierungsentwurf liegt allerdings erst seit Kurzem vor.
Die EU-Vorgaben wollen das Recht auf Zugang zu einem Rechtsbeistand effektiver ausgestalten. In diesem Zusammenhang legen sie auch Mindestvorschriften über das Recht auf Prozesskostenhilfe fest und stehen in engem Zusammenhang mit dem ebenfalls zu novellierenden Recht der notwendigen Verteidigung (s. zuletzt ZAP-Anwaltsmagazin 18/2019, S. 943). Die geplante Umsetzung in deutsches Recht wurde von den Sachverständigen aber überwiegend kritisch beurteilt. So bezeichnete etwa der Vertreter des Deutschen Anwaltvereins (DAV) die Gesetzesvorlage als einen Rückschritt ggü. dem Referentenentwurf, der noch eine behutsame Erweiterung des bisherigen Systems der Pflichtverteidigung in Aussicht genommen habe. Der Referentenentwurf habe einen Fall notwendiger Verteidigung und anwaltlicher Beiordnung zum Zeitpunkt der erstmaligen polizeilichen Vernehmung einer beschuldigten Person indiziert. Jetzt solle eine entsprechende Feststellung und Beiordnung grds. von einer entsprechenden Antragstellung des Beschuldigten abhängig gemacht werden. Dies bedeute einen Bruch im bisherigen System der notwendigen Verteidigung.
Der Vertreter der Vereinigung Berliner Strafverteidiger sprach von einem Abbau von Verfahrensgarantien für Beschuldigte in Strafverfahren. Notwendige Verteidigung diene nicht nur dem Schutz des Beschuldigten. Sie liege im gesellschaftlichen Interesse und dürfe nicht allein von einem Antrag des Beschuldigten abhängig gemacht werden.
Ein geladener Rechtsanwalt und Honorarprofessor war der Ansicht, der Regierungsentwurf verfolge in europarechtswidriger Weise eine Minimierung und Aushöhlung der notwendigen Verteidigung, "verschlimmbessere" den ursprünglichen Referentenentwurf und mache Korrektur- und Ergänzungsbedarf bei einzelnen neuen Regelungen erforderlich. Der Zugang zum Recht müsse für diejenigen abgesichert werden, die dies aus eigenen Kräften nicht könnten oder wollten. Er merkte auch an, dass die frühe Verteidigung generell keine unzuträgliche Verzögerung von Strafverfahren bewirke, sondern, ganz im Gegenteil, nicht selten eine Beschleunigung.
Aber auch die Vertreter der Ermittlerseite hatten Bedenken gegen den Entwurf, allerdings aus einer anderen Perspektive. Ein Generalstaatsanwalt war der Meinung, dass die Vorlage abzulehnen sei, da sie in weiten Teilen nicht dem Regelungsgehalt der PKH-Richtlinie entspreche und deren Vorgaben zum Teil zuwiderlaufe. Da sich Beschuldigte bereits nach geltendem Recht in jeder Lage des Verfahrens eines Verteidigers bedienen könnten, entspreche die Ausweitung der notwendigen Verteidigung im Regierungsentwurf nicht dem Regelungsgehalt der PKH-Richtlinie. Dort sei ein Anspruch auf finanzielle Hilfe, keine zwangsweise Beiordnung – auch nicht im Ermittlungsverfahren – vorgesehen. Sie dürfe nicht losgelöst von der EU-Richtlinie 2013/48 betrachtet werden, die allein den Zugang zum Rechtsbeistand regele und die von der PKH-Richtlinie nur insoweit ergänzt werde, als dass der Zugang zu einem Rechtsbeistand nicht an mangelnden finanziellen Mitteln scheitern solle. Auch werde die Umsetzung des Regierungsentwurfs, etwa bereits bei der ersten Beschuldigtenvernehmung durch die Polizei, erhebliche negative Auswirkungen auf die Strafverfolgung haben.
Auch eine Oberstaatsanwältin sah das so. Oberstes Regelungsanliegen solle sein, in das bisherige System nur insoweit einzugreifen, als Anpassungen europarechtlich zwingend notwendig seien. Der derzeitige Gesetzentwurf sehe jedoch eine weitgehende Ausweitung der Pflichtverteidigung auf das Ermittlungsverfahren vor, die von der Richtlinie nicht gefordert und angesichts der bestehenden Belehrungs- und Beiordnungsvorschriften auch nicht geboten sei. Es bestehe keine Veranlassung für eine "überobligatorische" Umsetzung der EU-Vorgaben.
Der stellvertretende Bundesvorsitzende des Bundes Deutscher Kriminalbeamter (BDK) erwartet von einer Umsetzung des Entwurfs in der vorgelegten Fassung eine nachhaltige Veränderung der polizeilichen und justiziellen Praxis, deren Folgen im Hinblick auf die Aufklärung schwerer Straftaten noch nicht absehbar seien. Aufgrund der beabsichtigten Vorverlagerung der Pflichtverteidigerbestellung auf den Zeitpunkt vor der ersten polizeilichen Vernehmung stehe eine wesentliche Abkehr von der bisherigen Rechtspraxis an, die diese Entscheidung bislang erst zum Zeitpunkt der richterlichen Vorführung für erforderlich erachtet habe. Auch die Erläuterungen zum Gesetzentwurf seien für die Rechtsanwendung aus Sicht der polizeilichen Praxis wenig hilfreich.
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