Nach wie vor werden zahlreiche Entscheidungen, die sich mit "Coronafragen" befassen, veröffentlicht (vgl. dazu zuletzt auch die Rechtsprechungsübersicht von Deutscher StRR 5/2022, 5 ff.). Hier soll v.a. auf eine Problematik eingegangen werden, die die Gerichte im Berichtszeitraum besonders beschäftigt hat. Diese Problematik hat ihren Ursprung bei der Möglichkeit, sich ggf. durch Vorlage des Nachweises von Impfungen oder Testungen von "Corona-Beschränkungen", insb. der Maskenpflicht, zu befreien. Diese Möglichkeit hat zu einer erheblichen Zahl von Fällen von gefälschten oder durch falsche Tatsachen erschlichenen ärztlichen Attesten, Impfzeugnissen und Testnachweisen geführt. In der Spruchpraxis der Gerichte war insoweit umstritten, ob diese Fälle von §§ 277, 279 StGB a.F. erfasst wurden oder nicht (wegen der Einzelheiten Deutscher, a.a.O., m.w.N.). Teilweise ist davon ausgegangen worden, dass hier eine Strafbarkeitslücke besteht (OLG Bamberg NJW 2022, 556), teilweise ist das verneint worden undâEUR™man ist davon ausgegangen, dass der Tatbestand der Urkundenfälschung nach § 267 StGB bei derâEUR™Vorlage eines gefälschten Impfpasses in einer Apotheke zwecks Erlangung eines COVID-19-Impfzertifikats nicht durch die Vorschriften der §§ 277 bis 279 StGB a.F. verdrängt wird (BayObLG, Beschl. v. 22.7.2022 – 202 StRR 71/22; OLG Celle Urt. v. 31.5.2022 – 1 Ss 6/22, NJW 2022, 2054 = StraFoâEUR™2022, 294; OLG Hamburg, Beschl. v. 27.1.2022 – 1 Ws 114/21; OLG Stuttgart, Beschl. v. 8.3.2022 – 1âEUR™Ws 33/22, StVâEUR™2022, 397; OLG Schleswig, Beschl. v. 31.3.2022 – 1 Ws 19/22).
Hinweis:
Diese Frage wird nun bald obergerichtlich geklärt werden. Denn das OLG Karlsruhe hat dem BGH dieâEUR™Frage "Entfalten die § 277 bis 279 StGB in der bis zum 23.11.2021 geltenden Fassung eine Sperrwirkung (privilegierende Spezialität), die bei Vorlage eines Impfausweises mit gefälschten Eintragungen über den Erhalt vonâEUR™Covid-19 Schutzimpfungen in einer Apotheke zur Erlangung eines digitalen Covid-19-Impfzertifikats einen Rückgriff auf § 267 Abs. 1 StGB ausschließt und einer Verurteilung nach dieser Vorschrift entgegensteht?", zur Entscheidung vorgelegt (vgl. OLG Karlsruhe, Beschl. v. 26.7.2022 – 2 Rv 21 Ss 262/22; vgl. auch noch dasâEUR™beim BGH unter 5 StR 283/22 anhängige Revisionsverfahren zur Frage der Strafbarkeit der FälschungâEUR™von Corona-Impfbescheinigungen, in dem die Hauptverhandlung am 10.11.2022 stattfindet).
Im Übrigen hat der Gesetzgeber auf den Streit in der Rechtsprechung reagiert. Er hat durch ein Änderungsgesetz vom 23.11.2021 (BGBl I, S. 4906), das am 24.11.2021 in Kraft getreten ist, u.a. den Tatbestand der Fälschung von Gesundheitszeugnissen in § 277 StGB grundlegend geändert. Nach der früheren Fassung war strafbar, wer unter der ihm nicht zustehenden Bezeichnung als Arzt oder unberechtigt unter dem Namen einer solchen Person ein Zeugnis über seinen oder eines anderen Gesundheitszustands ausstellt oder ein derartiges echtes Zeugnis verfälscht und zur Täuschung von Behörden oder Versicherungsgesellschaften Gebrauch macht. Entscheidend war hier also die Zweckbindung zur Vorlage bei Behörden oder Versicherungsgesellschaften. Die Vorlage von hier einschlägigen Dokumenten bei anderen Stellen war damit nicht erfasst. Nach der geänderten Fassung ist nach § 277 Abs. 1 StGB nun strafbar, wer zur Täuschung im Rechtsverkehr unter dem ihm nicht zustehenden Bezeichnung als Arzt ein Zeugnis über seinen oder eines anderen Gesundheitszustands ausstellt, wenn die Tat nicht in anderen Vorschriften des 23. Abschnitts des StGB mit schwererer Strafe bedroht ist (vgl. dazu OLG Bamberg NJW 2022, 556 m. Anm. Deutscher StRR 2/2022, 24).
Hinweis:
Aus der Neufassung des § 277 StGB folgt, dass für die Sachbehandlung unterschieden werden muss zwischen Fällen vor und nach dem Inkrafttreten der Änderung am 24.11.2021.