In zwei für alle Prozessbevollmächtigten bedeutsamen Urteilen vom 25.4.2017 (1 AZR 714/15, EzA-SD 2017, Nr. 18, 9; 1 AZR 132/16, juris) bestätigt der Erste Senat des BAG seine Rechtsprechung (BAG, Urt. v. 15.10.2013 – 1 AZR 405/12, NZA 2014, 217) wie folgt:

Die Parteien stritten über eine Sozialplanabfindung. Für die seit 1991 beschäftigte Klägerin galt die Betriebsvereinbarung Ziff. 7.1 der BV 2004, wonach Mitarbeiter bei Auflösung ihres Arbeitsverhältnisses eine Abfindung erhalten. Im Falle eines Prozesses vor dem Arbeitsgericht soll eine vom Gericht festgesetzte Abfindung mit der Abfindung nach der BV 2004 verrechnet werden. 2011 wurde die Facheinheit, in der die Klägerin tätig war, auf eine andere Gesellschaft im Wege des Betriebsübergangs übertragen. Auch hierfür sollte die BV 2004 gelten.

Nach Widerspruch gegen den Übergang ihres Arbeitsverhältnisses kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis zum 31.12.2012. Der folgende Kündigungsrechtsstreit endete durch einen gerichtlichen Vergleich, nach dem die Klägerin eine Abfindung i.H.v. 150.000 EUR brutto erhält. Mit Erfüllung des gerichtlichen Vergleichs sollten gem. Nr. 8 S. 1 sämtliche beiderseitigen Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis und seiner Beendigung, gleich aus welchem Rechtsgrund, abgegolten sein.

Die Klägerin verlangte mit der weiteren Klage die Differenz zwischen der Sozialplanabfindung nach der BV 2004 und der im Vergleich vereinbarten Abfindungssumme, insgesamt 65.190,33 EUR. Die Klage war in den Vorinstanzen erfolglos. Das BAG hat das Urteil des LAG aufgehoben und die Sache zurückverwiesen. Ein Anspruch der Klägerin auf eine Sozialplanabfindung nach einer für sie unmittelbar und zwingend geltenden Betriebsvereinbarung ist nicht durch die Abgeltungsklausel im gerichtlichen Vergleich erloschen. Zwar sei die vereinbarte Abgeltung als umfassender Anspruchsausschluss in Form eines konstitutiven negativen Schuldanerkenntnisses zu verstehen. Doch stehen Rechtsgründe entgegen. Nach § 77 Abs. 4 S. 2 BetrVG ist ein Verzicht auf Rechte des Arbeitnehmers aus einer Betriebsvereinbarung nur mit Zustimmung des Betriebsrats zulässig. Ein Sozialplan hat die Wirkung einer Betriebsvereinbarung (§ 112 Abs. 1 S. 3 BetrVG). Ein – selbst teilweiser – Verzicht des Arbeitnehmers auf einen Sozialplananspruch bedarf der Zustimmung des Betriebsrats, sonst sei der Verzicht wegen des Verstoßes gegen ein gesetzliches Verbot nichtig (§ 134 BGB).

Die umfassende Abgeltungsklausel in Nr. 8 S. 1 des Prozessvergleichs enthält keinen Tatsachenvergleich, für den § 77 Abs. 4 S. 2 BetrVG nicht gelten würde. Es liegt vielmehr ein Rechtsverzicht vor, weil die Parteien nicht allein über die Erfüllung der tatsächlichen Anspruchsvoraussetzungen stritten, sondern sich ausdrücklich über die Abgeltung aller beiderseitigen Ansprüche einigten. Bei einer solchen vergleichsweisen Verständigung über Rechtsfragen, z.B. wie bestimmte Regelungen eines Sozialplans auszulegen seien, ist die Beilegung von Meinungsverschiedenheiten der Parteien aber zwangsläufig mit einem Verzicht auf einen Rechtsanspruch verbunden. Es hätte daher für den Rechtsverzicht der Zustimmung des Betriebsrats bedurft. Diese lag nicht vor. Die Klägerin hat sich auch nicht widersprüchlich i.S.d. § 242 BGB verhalten. Allein der Abschluss einer gegen § 77 Abs. 4 S. 2 BetrVG verstoßenden Vereinbarung schafft kein Vertrauen darauf, der Arbeitnehmer werde später deren Unwirksamkeit nicht geltend machen. Anderenfalls liefe die gesetzlich angeordnete Unverzichtbarkeit eines betriebsverfassungsrechtlich vermittelten Anspruchs ins Leere.

 

Hinweise:

1. Das BAG bestätigt seine bisherige Rechtsprechung: Für die Wirksamkeit eines Verzichts auf Sozialplanansprüche ist die Zustimmung des Betriebsrats erforderlich (BAG, Urt. v. 15.10.2013 – 1 AZR 405/12, NZA 2014, 217).
2.

In zwei Ausnahmefällen bedarf es keiner Zustimmung:

3. Eine umfassende Erledigungsklausel ist im Regelfall nur ein Rechtsvergleich, wenn nicht ausschließlich Tatsachen des Anspruchs streitig waren. Im Zweifel ist stets die Zustimmung des Betriebsrats einzuholen (Widerrufsvergleich oder Rücktrittsrecht oder Zustimmungsvorbehalt).

Autoren: Richter am Arbeitsgericht Wolfgang Gundel, Freiburg, und Rechtsanwalt und Fachanwalt für Arbeits- und für Sozialrecht Dr. Ulrich Sartorius, Breisach

ZAP F. 17 R, S. 1231–1248

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