Das Jahr 2018 neigt sich dem Ende zu und es stellt sich sowohl für Arbeitnehmer als auch für Arbeitgeber die Frage, was mit dem nicht genommenen Jahresurlaub zum Ende des Jahres passiert.
Der EuGH hat nunmehr mit dem Urteil vom 6.11.2018 (C-619/16, ZAP EN-Nr. 650/2018) entschieden, dass Arbeitnehmer den ihnen nach Unionsrecht zustehenden Urlaub (d.h. den gesetzlichen Mindesturlaub) nicht automatisch verlieren dürfen, weil sie keinen Urlaub beantragt haben. Damit bricht ein gewichtiges Grundprinzip des deutschen Urlaubsrechts weg. Bislang galt als fester Grundsatz, dass nicht genommener Urlaub am Jahresende verfällt, wenn der Arbeitnehmer ihn bis dahin nicht beantragt hat.
Der Urlaub entsteht jeweils für ein Kalenderjahr (vgl. §§ 1, 7 Abs. 3 S. 1 BUrlG). Nach dem BUrlG beträgt der "gesetzliche" Urlaub bei einer 5-Tage-Woche mindestens 20 Werktage. Nicht genommener Urlaub erlischt grundsätzlich mit Ablauf des Kalenderjahrs. Die Regelung bezweckt, dass der Urlaub nicht massenhaft angespart wird, sondern im Kalenderjahr gewährt und genommen wird, um den Erholungs- und Gesundheitszweck zu erfüllen. Gemäß § 7 Abs. 3 BUrlG ist eine Übertragung des Urlaubs auf das nächste Kalenderjahr ausnahmsweise möglich, wenn dringende betriebliche oder in der Person des Arbeitnehmers liegende Gründe dies rechtfertigen. Im Fall der Übertragung muss der Urlaub in den ersten drei Monaten des folgenden Kalenderjahrs gewährt und genommen werden.
Eine finanzielle Abgeltung von Urlaub oder Resturlaub ist grundsätzlich unzulässig. Der Urlaubszweck soll nicht gefährdet werden. Kann der Urlaub wegen der Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht mehr gewährt werden, ist er jedoch ausnahmsweise abzugelten (§ 7 Abs. 4 BUrlG). Außer bei fristlosen Kündigungen oder bei dauerhaften Erkrankungen bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses haben Arbeitnehmer grundsätzlich die Möglichkeit, den bestehenden Urlaub vor Beendigung des Arbeitsverhältnisses abzubauen – sofern er von Arbeitgeberseite gewährt wurde.
Das BAG (Urt. v. 6.8.2013 – 9 AZR 956/11) vertrat bislang die Auffassung, dass Arbeitgeber nicht verpflichtet werden können, Arbeitnehmern Urlaub "aufzuzwingen". Lediglich die "Nicht-Gewährung" von rechtszeitig verlangtem und beantragtem Urlaub führte zu einem Anspruch auf Ersatzurlaub, der sich mit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses in einen Abgeltungsanspruch wandele.
Nach der Rechtsprechung des EuGH dürfen nunmehr sowohl der Verfall von Urlaubstagen als auch die Ansprüche auf finanzielle Vergütung für nicht genommenen Urlaub nicht automatisch untergehen, weil der Arbeitnehmer vor Beendigung des Arbeitsverhältnisses oder in dem Kalenderjahr vor Ablauf des Bezugszeitraums keinen Urlaub beantragt hat. Ein Anspruchsuntergang ist nur möglich, wenn der Arbeitnehmer vom Arbeitgeber zuvor angemessen über einen etwaigen Verlust aufgeklärt und tatsächlich in die Lage versetzt wurde, die fraglichen Urlaubstage rechtszeitig zu nehmen. Hierfür ist der Arbeitgeber darlegungs- und beweispflichtig. Begründet wird dies damit, dass der Arbeitnehmer die schwächere Partei des Arbeitsverhältnisses sei.
Allerdings weist der EuGH auch darauf hin, dass eine Pflicht des Arbeitgebers, Arbeitnehmer zum Urlaub zu zwingen bzw. deren Urlaub einseitig festzulegen, nach wie vor nicht besteht. Das EuGH-Urteil führt zu einer (erneuten) Stärkung von Arbeitnehmerrechten.
Arbeitgeber müssen ihre Arbeitnehmer künftig ausdrücklich, rechtzeitig und (unmiss-)verständlich darüber aufklären, dass ihr Urlaub verfallen wird, wenn sie nicht rechtzeitig einen Urlaubsantrag stellen, so dass eine Urlaubsgewährung (noch) rechtzeitig erfolgen kann. Dabei wird auch ein ausdrücklicher Hinweis auf die Höhe der noch vorhandenen Urlaubstage erforderlich werden. Eine bloße Erinnerung in Form eines allgemeinen Hinweises genügt nach den Ausführungen des EuGH nicht. Vielmehr ist nach dem EuGH eine "angemessene Aufklärung" über die Folgen, d.h. den möglichen Verlust des Urlaubsanspruchs, erforderlich. Erst wenn der Arbeitnehmer dieser Aufforderung immer noch nicht nachkommt, verfallen Urlaubs- bzw. spätere Urlaubsabgeltungsansprüche.
Darüber hinaus ist zu berücksichtigen, dass Arbeitgeber nach den Ausführungen des EuGH geeignete und konkrete organisatorische Maßnahmen zu ergreifen haben, um den Arbeitnehmern den Urlaub zu ermöglichen.
Der bisheriger Grundsatz, dass nicht genommener Urlaub zum Jahresende bzw. spätestens mit Ablauf des 31.3. des Folgejahrs verfällt, wenn er nicht beantragt wurde, gilt in Bezug auf den gesetzlichen Mindesturlaub nicht mehr.
Arbeitgebern ist dringend zu empfehlen, ihre betrieblichen Urlaubsregelungen auf die neuen Anforderungen hin zu überprüfen und anzupassen. Sie sollten schnellstmöglich, klar und nachweisbar schriftlich dokumentiert kommunizieren, zu welchem Zeitpunkt welche Urlaubsansprüche ersatzlos verfallen. Dies setzt voraus, dass genommene und insbesondere noch nicht genommene Urlaubstage sorgfältig dokumentiert und beispielsweise im Rahmen regelmäßiger Wiedervorlagen,...