Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) zielt darauf ab, Benachteiligungen aus den in § 1 AGG genannten Gründen zu verhindern oder zu beseitigen, u.a. solche wegen einer Behinderung und des Geschlechts. Das in § 7 Abs. 1 AGG normierte Verbot der Benachteiligung – der Begriff ergibt sich aus § 3 AGG – gilt u.a. für Beschäftigte, aber auch für Bewerber für ein Beschäftigungsverhältnis, § 6 Abs. 1 AGG. Bei Verstößen gegen das Benachteiligungsverbot können Arbeitnehmer neben Schadensersatz nach § 15 Abs. 1 AGG u.a. gem. § 15 Abs. 2 AAG wegen eines Schadens, der nicht Vermögensschaden ist, einen verschuldensunabhängigen Entschädigungsanspruch gegen den Arbeitgeber geltend machen. S. 2 der Norm bestimmt, dass die Entschädigung bei einer Nichteinstellung drei Monatsgehälter nicht übersteigen darf, wenn die Beschäftigten auch bei benachteiligungsfreier Auswahl nicht eingestellt worden wären, was vom Arbeitgeber darzulegen und im Bestreitensfall zu beweisen ist.
Hinweis:
Die vorgenannte Entschädigungsgrenze ist nach st. Rspr. des BAG als "Kappungsgrenze" anzusehen: Es ist zunächst eine angemessene, der Höhe nach nicht begrenzte Entschädigung zu ermitteln und diese ist dann, wenn sie drei Monatsgehälter übersteigen sollte, zu kappen s. (BAG v. 23.1.2020 – 8 AZR 484/18, Rn 83, NZA 2020, 851 = NJW 2020, 2289 m.w.N.).
Die Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG muss einen tatsächlichen und wirksamen rechtlichen Schutz gewährleisten. Die Härte der Sanktionen muss der Schwere des Verstoßes entsprechen, indem sie insbesondere eine wirklich abschreckende Wirkung gegenüber dem Arbeitgeber gewährleistet, sie dient somit einerseits der vollen Schadenskompensation und andererseits der Prävention. Es ist jedoch zugleich der allgemeine Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu wahren, wozu gehört, dass die Sanktion in einem angemessenen Verhältnis zum erlittenen Schaden stehen muss. Eine rein symbolische Entschädigung wird den Erfordernissen einer wirksamen Umsetzung der Antidiskriminierungs-Richtlinie (2006/54/EG) nicht gerecht.
Hinweis:
Verfahrensrechtlich gilt: Ansprüche aus § 15 Abs. 1 u. 2 AGG sind, mangels abweichender tarifvertraglicher Regelungen, innerhalb einer Frist von 2 Monaten schriftlich geltend zu machen, § 15 Abs. 4 S. 1 AGG, was – trotz des Wortlauts "schriftlich" (s. § 126 Abs. 1 BGB) – auch durch Textform nach § 126b BGB geschehen kann (BAG v. 16.2.2012, NZA 2012,667). Den Fristbeginn regelt S. 2 der Vorschrift. Eine Klage muss nach § 61b ArbGG innerhalb von 3 Monaten, nachdem der Anspruch schriftlich geltend gemacht worden ist, erhoben werden. Wenn im Streitfall Arbeitnehmer Indizien beweisen, die eine Benachteiligung wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes vermuten lassen, tragen Arbeitgeber die Beweislast dafür, dass kein Verstoß gegen die Bestimmungen zum Schutz vor Benachteiligung vorgelegen hat, § 22 AGG.
a) Nichteinladen schwerbehinderter Menschen zum Bewerbungsgespräch bei öffentlichem Arbeitgeber (§ 82 S. 2 SGB IX aF = § 165 S. 3 SGB IX)
Die Entscheidungen des BAG v. 23.1.2020 – 8 AZR 484/18 (NZA 2020, 851 = NJW 2020, 2289) und v. 28.5.2020 – 8 AZR 170/19 betreffen Ansprüche schwerbehinderter Menschen, die als Bewerber um einen Arbeitsplatz von einem öffentlichen Arbeitgeber entgegen § 82 S. 2 SGB IX aF (nunmehr, seit 1.1.2018, wortgleich § 165 S. 3 SGB IX, so dass die Rechtsprechung auch für die neue Gesetzesfassung anwendbar ist) nicht zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen wurden. Die vorgenannte Verpflichtung für öffentliche Arbeitgeber gilt in gleicher Weise für Personen, die schwerbehinderten Menschen gleichgestellt sind, s. § 151 Abs. 1 SGB IX (bis zum 31.12.2017: § 68 Abs. 1 SGB IX).
Das BAG bestätigt zunächst seine frühere Rechtsprechung, wonach Bewerber i.S.v. § 6 Abs. 1 S. 2 Alt.1 AGG ist, wer eine Bewerbung beim Arbeitgeber eingereicht – erforderlich ist der Zugang i.S.v. § 130 BGB – hat. Nicht erforderlich ist, dass Arbeitgeber bzw. die bei diesen über die Bewerbung entscheidenden Personen tatsächlich Kenntnis von einer zugegangenen Bewerbung nehmen (BAG v. 23.1.2020, Rn 16 ff.).
Entgegen der Annahme des LAG im Verfahren BAG v. 23.1.2020 folgt ein Anspruch auf Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG nicht unmittelbar aus dem Umstand, dass ein schwerbehinderter Mensch von einem öffentlichen Arbeitgeber nicht zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen wird. Vielmehr stellt die in § 82 S. 2 SGB IX aF normierte Verpflichtung zur Einladung zum Vorstellungsgespräch eine Verfahrenspflicht öffentlicher Arbeitgeber zugunsten schwerbehinderter (und ihnen gleichgestellter) Menschen dar, die lediglich eine – von diesen widerlegbare – Vermutung i.S.v. § 22 AGG einer Benachteiligung wegen der (Schwer-) Behinderung begründen kann. Dies entspricht st. Rpsr. des BAG (Nachweise in Rn 37 der Entscheidung v. 23.1.2020, a.a.O.).
Besteht die Vermutung einer Benachteiligung, trägt die andere Partei die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass der Gleichbehandlungsgrundsatz nicht verletzt worden ist. Hierfür gilt das Beweismaß des sog. Vollbeweises: Der Arbeitgeber muss Tatsachen vortragen und ggf. beweisen, aus denen sich ergibt, dass ausschließlich andere als die ...