Eine Sanktion, die im Regelwerk so genannt wird, und deren Anknüpfungspunkt ein Fehlverhalten ist, ist keine Strafe oder strafähnliche Sanktion, die dem mit Verfassungsrang ausgestatten Schuldgrundsatz unterliegt.
Reiben Sie sich gerade verwundert die Augen? Sie halten das für falsch? Dann erklären Sie das den Richter*innen des 1. Zivilsenats des obersten deutschen Gerichts, die am 4. November dieses Jahres genau das entschieden haben. Sie vertreten, folgt man der Pressemitteilung des BGH vom selben Tag, die Ansicht, dass im konkreten Fall die Geldstrafe „nicht der Ahndung und Sühne vorangegangenen Fehlverhaltens” [...] gelte, sondern [...] „den künftigen ordnungsgemäßen Spielbetrieb sichern” soll. Gleichwohl gehen die Richter*innen davon aus, dass eine „Sanktion verhängt worden” sei, weil „Vorgaben zu Sicherheitsmaßnahmen nicht eingehalten” wurden.
Sie wissen natürlich längst, dass es im konkreten Fall um den damaligen Fußball-Bundesdrittligisten FC Carl Zeiss Jena geht. Der musste gem. § 9 der Rechts- und Verfahrensordnung des DFB eine fünfstellige Geldsumme zahlen, weil seine Fans in zwei Heimspielen und einem Auswärtsspiel verbotenerweise mit Pyrotechnik im Stadion gezündelt hatten. Hiergegen wehrte sich der Klub über mehrere Runden vor allen verbandsinternen und ordentlichen Gerichtsinstanzen und beantragte zuletzt die Aufhebung des Schiedsspruchs vor dem BGH. Der BGH hatte damit zu prüfen, ob die in der DFB-Regelung enthaltene verschuldensunabhängige Haftung der Klubs für das Fehlverhalten seiner Fans sowohl im eigenen als auch im Stadion des Gegners gegen den ordre public verstößt.
Der BGH befindet, dass dies nicht der Fall sei. Er begründet seine Feststellung damit, dass die „Geldstrafe” nicht verhängt worden sei, weil der Klub Vorgaben des DFB zu Sicherheitsmaßnahmen nicht eingehalten hätte, sondern weil die von ihm ergriffenen Maßnahmen in den konkreten Fällen nicht ausgereicht haben, um Ausschreitungen seiner Anhänger zu verhindern. Die „Geldstrafe” soll die Klubs „dazu anhalten [...], zukünftig alle zur Verfügung stehenden Mittel einzusetzen, um mäßigend auf ihre Anhänger einzuwirken und so künftige Zuschauerausschreitungen zu verhindern. Die Ausführungen des BGH gipfeln in der Feststellung, dass die Einordnung der Geldstrafe‘ als präventive Maßnahme [...] der Rechtsprechung des Internationalen Sportgerichtshofs (CAS) entspricht.
Der Rechtsanwender weiß sofort, dass wir uns hier natürlich nicht im Strafrecht, sondern im Zivilrecht befinden und erinnert sich da direkt auch an gleich mehrere Rechtsgrundsätze, etwa an den: „Keine Sanktion ohne Verschulden”. Oder an den: „Haftung für Fehlverhalten Dritter bei abstrakten Gefährdungsdelikten”. Der Rechtsanwender weiß auch, dass wegen der grundrechtlich garantierten Verbandsautonomie der DFB und seine Mitglieder sowie die DFL und in der Bundesliga spielenden Klubs vereinbaren können, was sie wollen, solange kein Verstoß gegen die Verfassung oder den ordre public vorliegt, was (lediglich) dazu führt, dass der Prüfungsumfang des BGH eingeschränkt ist.
Und dennoch hinterlässt der (bisher leider noch) unbegründete Beschluss des BGH vom 4.11.2021 mehr Fragen als Antworten. Kern der Frage ist, ob ein Unbeteiligter für das Fehlverhalten Dritter belangt werden kann. Der BGH findet, das geht. Und zwar mittels einer sog. Präventionsmaßnahme.
Die Einordnung der Geldstrafe als Präventionsmaßnahme entspricht weder dem Wortlaut der konkreten Sanktionsregel (§ 9 RuVO) noch dem Sachverhalt noch der Wertung unseres Rechtssystems. Natürlich haben Strafen auch immer einen präventiven Ansatz, vorliegend knüpft diese jedoch ausdrücklich an das Fehlverhalten der Fans an – und hat damit v.a. sanktionierenden Charakter.
Sippenhaft kennen wir im deutschen Recht nicht. Wir kennen allerdings die abstrakten Gefährdungsdelikte. Doch auch dieses Vehikel hilft nicht weiter, denn bei diesen ist das Hervorrufen einer Gefahr durch etwa das Halten von Haustieren oder Fahrzeugen vom Willen des Halters getragen. Ein Fakt, der den Klubs nicht nachgesagt werden kann. Sie sind weder Organisatoren der Ligaspiele noch der damit verbundenen Risiken (das ist die DFL). Selbst wenn man davon ausgeht, dass die Klubs im eigenen Stadion über das Hausrecht verfügen, so ist das im gegnerischen Stadion nicht der Fall.
Sicher kommt bei der Prüfung der Rechtmäßigkeit verschuldensunabhängiger Haftung gemäß der in Art. 6 Abs. 3 EMRK statuierten Unschuldsvermutung geringe Bedeutung zu. Das in Art. 20 Abs. 3 GG konzipierte Gebot der Unschuldsvermutung ist jedoch eine über allem stehende Verfahrensgarantie – die über § 242 BGB auch Einzug in das Zivilrecht hält – und damit zur Unwirksamkeit der durch § 9 RuVO begründeten schuldlosen Dritthaftung führen muss. Das BVerfG hat schließlich betont, dass ohne Verschulden die Strafe eine mit dem Rechtsstaatsprinzip unvereinbare Vergeltung für einen Vorgang sei, den der Bestrafte nicht zu verantworten hat. Aber – ach ja! – die Geldstrafe ist ja gar keine Strafe, sondern eine – we...