Profifußball und Nachhaltigkeit

EU-Regulatorik, Sponsoren und nicht zuletzt die Gesellschaft: Die Profi-Fußball-Clubs werden von verschiedenen Seiten zu mehr Nachhaltigkeit gezwungen. Und sie müssen aktiv werden. Um weiterhin Geld zu verdienen – und um weiterhin geliebt zu werden.

Zuallererst ging es nicht um den Aufstieg in die Bundesliga, nicht um Siege und schon gar nicht um Geld. Es ging um politische Botschaften. Die Riesenparty des FC St. Pauli am Pfingstmontag startete mit einer Demonstration für „Demokratie und Clubkultur“ auf dem Hamburger Rathausmarkt. Als Redner mit dabei: der Holocaust-Überlebende Iva Buterfas-Frankenthal. Der FC St. Pauli nutzt seit jeher seine Beliebtheit, um politisch Position zu beziehen. 

Die Fans schätzen den FC St. Pauli dafür, die klare Kante gegen rechts ist Teil der Identität. Der Club engagiert sich über öffentliche Bekenntnisse hinaus, im Dezember veröffentlichte er als erster Profi-Fußballclub weltweit eine Gemeinwohl-Bilanz. Und auch die Namen Mainz 05, Werder Bremen, TSG Hoffenheim oder SC Freiburg fallen häufig, wenn man nach vorbildlichen Sustainability-Aktivitäten fragt. 

Schaut man indes nüchtern auf den Profifußball, ist der in Summe nicht für sein großartiges Nachhaltigkeits-Engagement bekannt, sondern für ein Geschäftsmodell, das unglaublich viel Geld bewegt. Wenn zum Beispiel die FIFA die WM in Katar als „nachhaltigste Fußball-Weltmeisterschaft aller Zeiten“ preist, weiß man nicht, ob man lachen oder weinen soll, aber auf jeden Fall, dass man belogen wird. 

Nachhaltig gegen das Misstrauen: Der Profifußball im Zugzwang

Dass sich der deutsche Profifußball seit der Corona-Pandemie verstärkt um Nachhaltigkeit kümmert, führt Markus Kurscheidt, Professor für Sportökonomie an der Universität Bayreuth, in einem Gespräch mit dem Deutschlandfunk auf das zunehmende Misstrauen zwischen Fans und den Verantwortlichen im Fußball zurück, „insbesondere, wenn es um die Spitzenorganisationen geht“.

Das verstärkte Engagement sei nicht aus einer inneren Überzeugung entstanden, sondern die Folge des Vertrauensverlustes: „Die haben das nicht gemacht, weil sie so begeistert von der ganzen Sache sind, sondern weil sie einfach gemerkt haben: Oh, wir haben hier ein Problem. Wenn wir weiterhin total fokussiert auf Umsatz und Ökonomie bleiben, dann verlieren wir die Unterstützung in Gesellschaft und Politik“, so Kurscheidt. 

Die Fußball-Clubs haben ihr Engagement nicht verstärkt, weil sie so begeistert von der ganzen Sache sind, sondern weil sie einfach gemerkt haben: Oh, wir haben hier ein Problem.

Prof. Dr. Markus Kurscheidt, Universität Bayreuth

Tatsächlich dürfte vor allem die gnadenlose Kommerzialisierung zur Entfremdung zwischen Fans und Fußball beitragen. Stefan Wagner unterhält das Büro für CSR, Marketing und Kommunikation und verantwortet bei der TSG Hoffenheim seit 2017 die Stabsstelle Unternehmensentwicklung. Er ist davon überzeugt, dass Fußball neu gedacht werden sollte: „Damit meine ich nicht das Spiel, sondern die Art und Weise, wie Profifußball in Summe funktioniert.“

Der Profifußball sei gerade mit Blick auf die wirtschaftliche Dimension total abgehoben und entferne sich immer weiter von den Menschen. Letztlich müsse der Profifußball ein Geschäftsmodell verfolgen, das einerseits erfolgreich und andererseits gesellschaftlich akzeptiert sei – sonst werde das Identifikationsproblem größer.

Wer mitspielen will, muss nachhaltig handeln

Im Mai 2022 integrierte die Deutsche Fußball Liga (DFL) als erste Liga weltweit Anforderungen an die Nachhaltigkeit in den Kriterienkatalog für eine Club-Lizenzierung. Die DFL ist für die Organisation und Vermarktung des deutschen Profifußballs zuständig und umfasst 36 Clubs, je 18 in der Bundesliga und 18 in der zweiten Bundesliga. Wer hier mitspielen will, muss künftig nachweislich nachhaltig agieren.

Im ersten Wurf umfasste die Nachhaltigkeitsrichtlinie der DFL 117 Kriterien – zu viel, zu aufwändig, zu unspezifisch, kritisierten Expert:innen aus der Sustainability-Szene. Marika Bernhard, die als Head of Sustainability bei der DFL ein fünfköpfiges Nachhaltigkeitsteam leitet, erklärt: „Dieser erste Aufschlag war noch nicht so passgenau. Die Clubs standen aber hinter dem Prozess, sie waren an der Erarbeitung aller Auflagen und der Richtlinie maßgeblich beteiligt. Wir wollten schnell einen großen Hebel anwenden.“

Mittlerweile habe die DFL die Richtlinie in einem „hoch partizipativen Prozess mit den Clubs“ weiterentwickelt und Revisionen verabschiedet. Für die Überprüfung ist die Dekra als unabhängiger Auditierungsdienstleister engagiert.

Weil alle beteiligt sind, gibt es wenig Widerstand.

Marika Bernhard, Head of Sustainability bei der DFL

„Wir sind jetzt im Jahr zwei nach der Einführung und sehen schon ganz konkret die Fortschritte. Das heißt unter anderem: alle Clubs haben eine Nachhaltigkeitsstrategie und alle Clubs haben eine Person, die für Nachhaltigkeit verantwortlich ist“, sagt Marika Bernhard. Der club-übergreifende Austausch ist gefragt und wird gefördert: Es gibt Regionaltreffen, wöchentliche Sprechstunden und alle vier bis sechs Wochen einen „Regel-Call“ zu Nachhaltigkeit mit allen Clubs. „Weil alle beteiligt sind, gibt es wenig Widerstand“, so DFL-Managerin Bernhard.

Sponsoren als wichtiger Treiber für Nachhaltigkeit im Fußball

Auch die neuen EU-Richtlinien, wie etwa die Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD) mit ihren Berichtspflichten, befördern das Thema Nachhaltigkeit. Die Regulatorik habe nachgezogen und schaffe ein Level-Playing-Field, sagt Dominik Durben, Geschäftsführer der Münchener Nachhaltigkeitsberatung fors.earth, die Proficlubs und Sportverbände berät. Haupttreiber für das verstärkte Engagement der Top-Ligisten sind indes die Sponsoren, denn sie bringen das Geld.

Nachhaltigkeit wird zum Wirtschaftsfaktor für die Clubs: „Die großen, relevanten Sponsoren müssen ihrerseits Rechenschaft darüber ablegen, auf welchen Plattformen sie in welcher Form werben – und neben wem“, erklärt Durben. Und da ist es natürlich von Vorteil, wenn Umfeld und Werbeplattform selbst schon eine greifbare, nachvollziehbare Nachhaltigkeitsstrategie verfolgen. Im besten Falle gebe es sogar ein gemeinsames Thema mit gesellschaftlicher Relevanz, aus dem sich eine glaubwürdige Sponsoring-Story entwickeln lasse, so Durben.  

Die großen, relevanten Sponsoren müssen Rechenschaft darüber ablegen, auf welchen Plattformen sie in welcher Form werben – und neben wem.

Dominik Durben, Geschäftsführer von fors.earth

Die Clubs werden bei der Wahl ihrer Sponsoren sensibler. Schon heute werden Sponsoren abgelehnt. Tatsächlich sollte es eine Diskussion wert sein, ob sich Clubs von Wettanbietern, Massentierhaltern oder Herstellern nachweislich ungesunder Süßgetränke finanzieren lassen wollen. Mit sozialer oder ökologischer Nachhaltigkeit ist das jedenfalls nur schwer vereinbar.

Nebenbei bemerkt: Coca-Cola ist Sponsor der EURO 2024. Eine aktuelle Studie zeigt, dass der US-Konzern für 11 Prozent des weltweiten Plastikmülls verantwortlich ist. Über die Gesundheitsförderlichkeit des Getränks müssen wir nicht reden. Es sind solche Beispiele, die dem Sport ein Glaubwürdigkeitsdefizit bescheren.

TSG Hoffenheim: Klare Nachhaltigkeitsstrategie statt Herumdoktern

Wie sich ein starkes Engagement für Nachhaltigkeit zum USP entwickelt, zeigt die TSG Hoffenheim. Vor rund sieben Jahren beschloss der Club, nicht nur ein bisschen an seiner Nachhaltigkeit herumzudoktern, sondern eine fundierte nachhaltige Zukunftsstrategie zu entwickeln.

„Wir haben nicht einfach nur Checklisten abgearbeitet und Häkchen gesetzt, weil wir jetzt unseren CO2-Fußabdruck messen oder LED-Lampen einbauen, sondern sehr schnell gesehen, dass es um eine Transformation der Organisation und der Geschäftsmodelle geht. Wir haben die Vermarktung angefasst, die Internationalisierung angefasst, die Marke angefasst“, erklärt Stefan Wagner. Herausgekommen ist die Strategie „TSG ist Bewegung“, die strikt auf Innovation und gesellschaftliche Verantwortung ausgelegt ist.

Wir machen das nicht aus reinem Altruismus, sondern weil wir glauben, dass in der nachhaltigen Entwicklung auch die Zukunftssicherung für die TSG selbst liegt.

Stefan Wagner, Stabsstelle Unternehmensentwicklung der TSG Hoffenheim

Im Profifußball gilt die TSG mittlerweile vielen als eine Vorreiterin in Sachen Nachhaltigkeit. Ihr ökologisches Engagement reicht vom selbst produzierten Strom über eine Papierproduktion aus dem Stadionrasenschnitt bis hin zum ersten Zero Waste-zertifizierten Stadion Deutschlands.

PreZero Arena TSG Hoffenheim

Sozial punktet der Club mit seinem Engagement für Kinder und Jugendliche, dem Aufbau der nachhaltigen Lifestyle-Marke Umoja in Uganda oder seiner Akademie, deren Ergebnisse der Wissenschaft, Polizei oder Feuerwehr zur Verfügung gestellt werden. „Wir machen das nicht aus reinem Altruismus, sondern weil wir glauben, dass in der nachhaltigen Entwicklung auch die Zukunftssicherung für die TSG selbst liegt“, sagt Wagner.

Die TSG ist in der Sponsorengewinnung mit einer ganzen Reihe von Wettbewerbsnachteilen konfrontiert, die sie mit ihrer nachhaltigen Positionierung wettmacht. Das zeigen Partner wie PreZero oder der Solarenergie-Spezialist Hep Global: In Hoffenheim im Rhein-Neckar-Kreis leben gerade einmal rund 3.300 Menschen. Das heißt im Vergleich zu den Clubs in den Großstädten: eine kleinere Fan-Basis, eine geringere Reichweite, weniger potenzielle Sponsoren im unmittelbaren Umkreis. 

Der Weg zum Stadion als nachhaltiger Stolperstein

Und die TSG Hoffenheim steht noch vor einer anderen großen Herausforderung: eine himmelschreiend schlechte Anbindung an das Bahnnetz, der nächstgelegene ICE-Halt ist Mannheim. Von dort aus sind es noch 30 Minuten mit dem Regionalzug. Die TSG steht damit übrigens auch in besonderem Maße vor dem Problem der umweltschädlichen Fan-Mobilität: 78,9 Prozent der Fans reisen laut aktuellem Nachhaltigkeitsbericht zu einem Spiel per „motorisiertem Individualverkehr“ an. Das macht es schwierig, das Race-to-Zero-Ziel – die Reduktion der CO2-Emissionen – zu erreichen. 

Es gehört zur Wahrheit, dass gerade rund um die Spieltage immer Leute reisen werden, um Fußball zu sehen.

Marika Bernhard, Head of Sustainability bei der DFL

Vor diesem Problem stehen alle Clubs gleichermaßen: „Es gehört zur Wahrheit, dass gerade rund um die Spieltage immer Leute reisen werden, um Fußball zu sehen“, sagt Marika Bernhard. Die DFL arbeite gemeinsam mit den Clubs daran, die Datenbasis zum Thema Fan-Mobilität zu verbessern und die Emissionen so weit wie möglich zu reduzieren. Pro Bundesliga-Spieltag sind rund eine halbe Million Fans unterwegs, um ihre Mannschaften live zu sehen. 

Allein können die Clubs wenig bewegen: Wenn es um den Ausbau des Öffentlichen Nahverkehrs geht, sind Städte und Kommunen gefragt – und für längere Strecken die Deutsche Bahn: Im WDR-Podcast „Sport Inside“ berichten gleich mehrere Fans, dass sie nicht mehr mit dem Zug zu Spielen fahren, weil das erstens oft teurer ist als eine Autofahrt und sie zweitens darum bangen, wegen der mangelnden Zuverlässigkeit der Bahn nicht pünktlich zum Anpfiff im Stadion zu sein.

Um die Fan-Mobilität ökologischer zu gestalten, setzen etwa der VfB Stuttgart und der VfL Wolfsburg auf die Mobilitäts-App ummadum, die ihre Nutzer:innen für eine ökologische An- und Abreise zum Stadion belohnt. 

Nachhaltiger Profifußball: Der positive Impact zählt

Summa summarum ist das Thema Nachhaltigkeit im Profifußball angekommen: weil es die Gesellschaft einfordert, weil es die Regulatorik erzwingt und – wichtig – weil es Sponsoren wollen. „Letztlich müssen die Clubs ihren Beitrag zu den großen gesellschaftlichen Herausforderungen dieser Zeit herausarbeiten. Und das ist weit mehr als die Reduktion des eigenen Carbon Footprints. Die ist zwar wichtig und gefordert, aber entscheidend ist der positive Impact, die Rolle der Clubs als Vorbild und emotionaler Multiplikator. Und was viele vergessen: Sie stärken den Breitensport und damit die Gesundheitsförderung im ganzen Land“, sagt Dominik Durben. 

Entscheidend ist der positive Impact, die Rolle der Clubs als Vorbild und emotionaler Multiplikator.

Dominik Durben, Geschäftsführer der Nachhaltigkeitsberatung fors.earth

Die Clubs hätten einen starken Hebel, den Sport in die Gesellschaft zu tragen – emotional unterlegt und positiv besetzt. Im Optimalfall werde die bevorstehende EURO 2024 viele Kinder für den Sport und für eine Mitgliedschaft in Sportvereinen begeistern. Schön wäre – und auch das liegt in der Macht der Clubs – wenn der Profifußball nicht nur die Begeisterung für den Sport, sondern auch die Begeisterung für nachhaltiges Handeln in die Gesellschaft trägt. Das Potenzial, um Millionen Fans für mehr Nachhaltigkeit zu motivieren, zu sensibilisieren und zu mobilisieren, ist da. Während der Saison an jedem Wochenende.

Schlagworte zum Thema:  Unternehmensführung, Nachhaltigkeit