Eine Pause für das Lieferkettengesetz? Nicht ablenken lassen!
Das in Deutschland bereits seit 2023 geltende Sorgfaltspflichtengesetz für Menschenrechts- und Umweltrisiken in Lieferketten wurde erst zu Beginn dieses Jahres auf Unternehmen ab 1.000 Mitarbeitende ausgeweitet. Nun erwägt Wirtschaftsminister Robert Habeck auf dem Tag des Familienunternehmens Anfang Juni, das LkSG für zwei Jahre, also bis zur Einführung der europäischen Corporate Sustainability Due Diligence Directive (CSDDD), zu pausieren.
Einige Unternehmen scheinen die Nachricht erleichtert aufzunehmen, vielleicht weil sie sich eine Atempause von regulatorischen Anforderungen erhoffen. Bei genauerer Betrachtung wird jedoch deutlich, dass Habecks Vorschlag zu Gunsten der Industrie gut gemeint, aber juristisch nicht durchdacht ist. Schließlich sind pressewirksame Statements mit juristischer Vorsicht zu genießen.
Ob das Lieferkettengesetz aufgeschoben wird, ist noch ungewiss
Am Horizont sehen deutsche Unternehmen ohnehin das europäische Lieferkettengesetz auf sich zukommen. Wieso also wichtige Ressourcen für das deutsche Gesetz opfern? So oder so ähnlich lautet die Lesart hinter dem Vorstoß, der auch von der Opposition unterstützt wird. Dem Vorschlag liegt die Prämisse zugrunde, das deutsche und das europäische Gesetz zu harmonisieren. Zwei Fallstricke aus dem Europarecht sprechen jedoch dafür, dass eben diese Harmonisierung auf wackeligen Füßen steht.
Schließlich muss laut Harmonisierungsanforderungen der CSDDD Richtlinie (vgl. Art. 1 Abs. 2) vermieden werden, dass es zu einer Absenkung des Schutzniveaus von Menschen-, Arbeiter:innen- oder sozialen Rechten sowie des Umwelt- und Klimaschutzes im gültigen nationalen Gesetz, dem LkSG, kommt. Zu klären ist also zunächst die Frage, ob eine Aussetzung des LkSG zu einem Absenken des hiesigen Schutzniveaus führen würde.
Ähnlich ist es mit dem Rückfallverbot in der Europäischen Gesetzgebung. Nationales Recht darf nicht dahingehend geändert werden, dass die Werte der EU, wie sie in Art. 2 EUV festgelegt sind, gemindert werden. Diese Werte wurden mit der EU-Lieferkettenrichtlinie in Bezug auf Menschenrechte konkretisiert. Unklar ist, welcher Zeitpunkt für die Ermittlung der Werte für das Rückfallverbot maßgeblich ist, das heißt vor oder nach Verabschiedung der CSDDD. Eine Aussetzung des LkSG könnte daher die Rechtsunsicherheit erhöhen und gegebenenfalls sogar gegen Unionsrecht verstoßen.
Ambiguität in der Gesetzgebung: Kein Grund für Stillstand bei Unternehmen
Ob CSDDD oder LkSG, beide Gesetzgebungen bieten einen klaren Rahmen, um menschenrechtliche und umweltbezogene Sorgfaltspflichten in den Lieferketten beziehungsweise Wertschöpfungsketten von Unternehmen zu berücksichtigen, um Risiken zu identifizieren und im besten Fall zu verhindern oder zu minimieren.
Neben dem Argument, das hiermit die ethische Unternehmensführung gestärkt wird, gibt es auch klare geschäftliche Interessen, die Unternehmen motivieren sollten, sich dezidiert mit dem Aufbau eines robusten Risikomanagementsystems für die eigene Lieferkette auseinanderzusetzen.
Sorgfaltspflicht, präventives Risikomanagement und ihre Vorteile
Solche Unternehmen, die Due Diligence-Maßnahmen entlang ihrer Lieferkette aktiv implementieren, können langfristige Wettbewerbsvorteile erzielen. Präventive und korrektive Maßnahmen fördern nachhaltige Praktiken und steigern die betriebliche Effizienz, was langfristig zu Kosteneinsparungen führen kann.
Insbesondere im Bereich der Dekarbonisierung kann die Zusammenarbeit mit Zuliefer:innen und auch mit Kund:innen zu positiven ökonomischen und ökologischen Effekten führen. Nutzen Unternehmen diese Möglichkeiten und positionieren sie sich als verantwortungsbewusste und zukunftsorientierte Branchenführer:innen, stärken sie damit das Vertrauen von Investor:innen, Kund:innen und Geschäftspartner:innen.
Indem Unternehmen ein Lieferketten-Risikomanagement einrichten, können sie Risiken erkennen und minimieren, die sich mutmaßlich in ihren Lieferketten befinden. Dies umfasst sowohl rechtliche Risiken als auch operationelle Störungen, die durch Missstände bei Zuliefer:innen verursacht werden. Weltweit gibt es immer mehr kostenintensive Klageverfahren, die ihren Ursprung in nachlässiger Sorgfaltspflicht im Lieferkettenmanagement haben. Und dem kann man vorbeugen.
Effizienz durch ganzheitlich organisiertes Compliance Management
Selbst wenn das LkSG vorübergehend pausiert würde, werden zukünftige Regulierungen und internationale Standards weiterhin strenge Sorgfaltspflichten vorschreiben. So müssen sich viele Unternehmen ohnehin mit der CSDDD, der Zwangsarbeitsverordnung und der CSRD befassen, die alle die Wertschöpfungskette ins Auge fassen.
Die genannten Regularien sollten zusammen betrachtet werden, um effektives Compliance Management zu betreiben. Wer hier in Silostrukturen denkt, riskiert betriebsinterne Verwirrung und verschenkt wichtige Ressourcen. Verschiedene Softwarelösungen können dabei helfen, rechtssicher und effizient Risikopotentiale zu erkennen und präventive beziehungsweise Abhilfemaßnahmen zu managen, die im Umgang mit den Regularien von Relevanz sind.
Reputation und Kundenvertrauen durch Sorgfalt in der Lieferkette
In einer globalisierten Welt spielt die Reputation eines Unternehmens eine entscheidende Rolle. Verbraucher:innen und Geschäftspartner:innen achten verstärkt darauf, dass Unternehmen ethisch und nachhaltig handeln. Im B2B-Geschäft spielt die Sprechfähigkeit zu ESG-bezogenen Themen eine immer größer werdende Rolle. Letztlich riskieren nicht nur Mitarbeitende im Einkauf, die sich ihrer Sorgfaltspflichten nicht bewusst sind, den Reputationsverlust ihres Unternehmens.
Und jetzt? Auf geht’s, lassen Sie sich nicht von tagespolitischen Diskussionen ablenken und fokussieren Sie sich auf die Zukunftsfähigkeit Ihres Unternehmens. Denken Sie in Stakeholder-Netzwerken. Und suchen Sie die Chancen, die sich hinter der regulatorisch erzwungenen Transparenz ergeben.
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