In seinen beiden Grundsatzentscheidungen (BGH NJW 2003, 898 und BGH NJW-RR 2004, 858) hatte der BGH klargestellt, dass eine Partei grds. berechtigt ist, für einen Prozess vor einem auswärtigen Gericht einen Anwalt an ihrem Sitz oder Wohnsitz zu beauftragen und dass dessen Reisekosten zum Termin von der unterlegenen Partei in vollem Umfang zu erstatten sind. Insoweit hat der BGH auch klargestellt, dass eine Vergleichsberechnung mit den Kosten eines Terminsvertreters nicht zulässig ist (BGH NJW-RR 2005, 1662). Die angefallenen Reisekosten des am Sitz bzw. Wohnsitz des Mandanten niedergelassenen Anwalts sind uneingeschränkt zu erstatten. Diese Rechtsprechung gilt auch dann, wenn ein Anwalt sich selbst vertritt. Auch er muss nicht einen Anwalt am Gerichtsort beauftragen, sondern darf selbst zum Termin anreisen (OLG München NJW-RR 2012, 889). Nur im umgekehrten Fall, in dem ein Terminsvertreter beauftragt wird, findet eine Kontrollberechnung statt. Dessen Mehrkosten dürften die ersparten Reisekosten des Hauptbevollmächtigten nicht um mehr als 10 % überschreiten (BGH NJW 2003, 898; BGH NJW-RR 2015, 761). Selbstverständlich gilt auch hier: Keine Regel ohne Ausnahmen. In den Fällen, in denen es dem Mandanten ohne Weiteres möglich ist, einen im Gerichtsbezirk niedergelassenen Anwalt ausreichend zu informieren, sind die Reisekosten eines am Ort der Partei ansässigen Anwalts nicht erstattungsfähig. Die Rechtsprechung hat hierzu Fallgruppen herausgearbeitet.
Hinsichtlich der Partei selbst galt schon immer, dass diese an gerichtlichen Terminen teilnehmen darf und dass deren Reisekosten immer zu erstatten sind. Es ist das ureigenste Recht einer Partei, am Termin zur mündlichen Verhandlung des eigenen Rechtsstreits teilzunehmen. Wer besser als die Partei kann zur Aufklärung des Sachverhalts beitragen? Wer besser als die Partei kann einem Zeugen oder Gegner Vorhalte machen, wenn diese die Unwahrheit sagen und wer anderes als die Partei entscheidet, ob ein Vergleich geschlossen wird oder nicht? Soweit hier häufig eingewandt wird, dass Reisekosten der Partei nur dann erstattungsfähig seien, wenn deren persönliches Erscheinen angeordnet sei, ist dies unzutreffend (OLG Koblenz AGS 2010, 102; OLG Saarbrücken AGS 2012, 496).
Wer dachte, es seien nunmehr alle Fragen der Reisekostenerstattung geklärt, sieht sich wieder einmal getäuscht. Mit Einführung des § 128a ZPO ist ein neues Problem aufgetreten, nämlich die Frage, ob Anwalt und Partei zu einem auswärtigen Termin reisen dürfen, wenn ihnen gestattet ist, an dem Termin per Videokonferenz teilzunehmen. Dieser Einwand wird jetzt offenbar zunehmend im Kostenfestsetzungsverfahren erhoben. Es wird geltend gemacht, dass bei der Möglichkeit der Gestattung, am Termin per Videokonferenz teilzunehmen, die Anreise nicht notwendig sei und damit weder für den Anwalt noch für die Partei eine Kostenerstattung in Betracht komme. Bislang haben die mit dieser Frage befassten Gerichte die Einwände zu Recht zurückgewiesen (OLG Zweibrücken, Beschl. v. 9.10.2023 – 6 W 47/23; LG Frankenthal, Beschl. v. 8.9.2023 – 3 O 103/21; LG Aachen, Beschl. v. 22.3.2023 – 8 O 545/21). Dabei wird vornehmlich darauf abgestellt, dass § 128a ZPO lediglich davon spricht, dass es den Parteien und ihren Anwälten „gestattet” werde, am Termin per Videokonferenz teilzunehmen, dass dies aber keineswegs verpflichtend sei. Nun ist dies allerdings nicht das letztlich Entscheidende, denn auch der Nichtgebrauch einer Gestattung kann als missbräuchlich bzw. nicht notwendig einzustufen sein. Indes dürfte aber der Rechtsprechung zu folgen sein. Die Taktik eines Prozesses bestimmen immer noch die Partei und ihr Anwalt selbst. Wenn diese es für opportun halten, persönlich am Termin teilzunehmen, dann kann dies nicht als unnötig oder gar rechtsmissbräuchlich abgetan werden. Es kann gute Gründe dafür geben, persönlich zu erscheinen. Der persönliche Eindruck, den ein Richter von einer Partei gewinnt, kann im Prozess mit ausschlaggebend sein. Ein solcher persönlicher Eindruck lässt sich nicht per Videokamera einfangen. Spontanität, Körpersprache, nonverbale Kommunikation und körperliche Reaktionen gehen oftmals aufgrund der Distanz verloren. Gebärden, Gesichtsausdruck, Gestikulieren und körperliche Bewegungen außerhalb des Kamerafeldes kommen bei einer Videoübertragung in vielen Fällen, gewollt oder ungewollt, nicht an. Persönlicher Ausdruck besteht nicht nur aus Worten, sondern ebenso aus Gestik und Mimik. Diese führen häufig zu Reaktionen, welche dem Prozess dienlich sind. Darüber hinaus sieht so mancher Mandant erst in der direkten Konfrontation das Erfordernis unangenehme oder schwierige Themen anzusprechen.
ZAP F., S. 1145–1146
Rechtsanwalt Norbert Schneider, Neunkirchen-Seelscheid