Endlich ist es so weit: Nachdem mit dem ERV-Gesetz 2013 die Rechtsgrundlagen für den Start des besonderen elektronischen Anwaltspostfachs (beA) geschaffen wurden, beginnt zum 1.1.2022 bundesweit die aktive Nutzungspflicht für die Korrespondenz mit den Gerichten.
Die Skeptiker unter den Anwälten sind immer noch zögerlich. „Weihnachten kommt ja auch immer so plötzlich”. Und auch der BGH (VII ZB 12/21) meinte noch am 29.9.2021:
Zitat
„Bis zum Eintritt der aktiven Nutzungspflicht des elektronischen Rechtsverkehrs für Rechtsanwälte spätestens ab dem 1.1.2022 (vgl. § 130d ZPO in der ab dem 1.1.2022 geltenden Fassung) besteht für die Rechtsanwaltschaft keine allgemeine Pflicht, sich mit den Anforderungen und der Funktionsweise der Erstellung und des Versands elektronischer Dokumente auseinanderzusetzen.”
„Dieser Übermittlungsweg stellt daher für einen Rechtsanwalt, der das besondere elektronische Anwaltspostfach bisher nicht aktiv genutzt und hierüber keine Dokumente versandt hat, keine sich aufdrängende, mit geringfügigem Aufwand nutzbare Alternative dar, wenn am Tag des Fristablaufs die von ihm gewählte Übermittlung mittels Telefax aus von ihm nicht zu vertretenden Gründen scheitert. Es ist ihm nicht zuzumuten, sich innerhalb kurzer Zeit vor Fristablauf erstmals mit den Voraussetzungen dieser für ihn neuen Zugangsart vertraut zu machen.”
Da hat der Kollege Glück gehabt, dem Beklagten wurde Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Begründung der Berufung gewährt.
Pech hatte hingegen ein anderer Kollege: Ebenfalls am 29.9.2021 stellte der VII. Zivilsenat (VII ZR 94/21) mit identischem Vorsitzenden Richter, aber mit anderer Besetzung, fest:
Zitat
„Der Antrag des Klägers auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde ... wird zurückgewiesen.”
„Am Abend des 10.6.2021 unternahm der Prozessbevollmächtigte des Klägers um 21:33 Uhr den Versuch, die Begründungsschrift über das besondere elektronische Anwaltspostfach (im Folgenden: beA) an den Bundesgerichtshof zu übermitteln. In dem klägerischen Übermittlungsprotokoll von 21:33 Uhr wurde die Signaturprüfung als „Erfolgreich” bestätigt. In der Spalte „Meldungstext” hieß es hingegen: „Die Nachricht konnte nicht an den Intermediär des Empfängers übermittelt werden.” Der Übermittlungsstatus lautete „Fehlerhaft”.”
„Zur Rechtfertigung des Wiedereinsetzungsgesuchs trägt der klägerische Prozessbevollmächtigte im Wesentlichen vor, er habe in der Vergangenheit noch nie entsprechende Probleme bei der Versendung von Schriftsätzen über das beA gehabt. Er habe am Abend des 10.6.2021 davon ausgehen dürfen, dass die Übermittlung erfolgreich gewesen sei. Das Übermittlungsprotokoll von 21:33 Uhr habe den Eingang des Schriftsatzes bestätigt. Der darin enthaltene Vermerk zur gescheiterten Übermittlung an den Intermediär des Gerichts habe auch in der Vergangenheit der Weiterleitung eines ordnungsgemäß eingegangenen Schriftsatzes nie entgegengestanden.”
Was soll man dazu sagen? In Köln: „Es hätt noch emmer joot jejange.” (Artikel 3 des Kölschen Grundgesetzes). Übersetzt für den Rest der Welt: „Es ist bisher noch immer gut gegangen.” Was gestern gut gegangen ist, wird auch morgen funktionieren.
Zitat
„Hat der Rechtsanwalt eine Eingangsbestätigung nach § 130a Abs. 5 Satz 2 ZPO erhalten, besteht Sicherheit darüber, dass der Sendevorgang erfolgreich war. Bleibt sie dagegen aus, muss dies den Rechtsanwalt zur Überprüfung und gegebenenfalls erneuten Übermittlung veranlassen.”
„Gemessen daran hat der Prozessbevollmächtigte des Klägers seinen Kontrollpflichten nicht genügt. Er hätte bereits aufgrund des Übermittlungsprotokolls von 21:33 Uhr erkennen müssen, dass die Übermittlung „Fehlerhaft” und eine Übermittlung an den Intermediär des Gerichts gescheitert war. Entgegen seiner Auffassung hat das Übermittlungsprotokoll von 21:33 Uhr den Eingang des Schriftsatzes gerade nicht bestätigt, sondern die Übermittlung ausdrücklich als „Fehlerhaft” bezeichnet. Die Angabe „Erfolgreich” betraf lediglich die Signaturprüfung, nicht jedoch den Versand.”
Die Rechtsprechung zeigt, dass noch viel Aufklärungsbedarf besteht. Und gleichzeitig wird gefordert, dass der Anwalt stichprobenartig kontrolliert. Dazu ist erforderlich, dass man weiß, wo zu kontrollieren ist. Der Elektronische Rechtsverkehr ist kein Schnellboot, sondern ist eher vergleichbar mit einem Tanker, der langsam Fahrt aufnimmt und schwerfällig zu manövrieren ist. Ein Verlassen des Tankers ist nicht möglich, vielmehr muss die Mannschaft alles daransetzen, Kurs zu halten und das Ziel zu erreichen.
Die Justiz hat auf ihrem Tanker den 1.1.2026 im Visier. Denn ab diesem Stichtag ist sie gesetzlich verpflichtet, elektronische Akten zu führen. Bis dahin wird es zwei Welten geben: die digitale Welt, die zeigt, wie rosig die Zukunft sein kann. Und die analoge Welt, bei der die Justiz die über das beA versandten elektronischen Dokumente ausdruckt und als Papierpost an die Beteilig...