Noch am 11.6.2021 hatten die (damaligen) Regierungsfraktionen von CDU/CSU und SPD einen Gesetzentwurf zu einer weiteren Änderung der StPO im Bundestag eingebracht, und zwar den „Entwurf eines Gesetzes zur Änderung der Strafprozessordnung – Erweiterung der Wiederaufnahmemöglichkeiten zuungunsten des Verurteilten gem. § 362 der Strafprozessordnung” (Gesetz zur Herstellung materieller Gerechtigkeit, BT-Drucks 19/30399). Dieser ist dann bereits am 24.6.2021 im Bundestag beschlossen worden. Der Bundesrat hat in seiner Sitzung vom 17.9.2021 den Vermittlungsausschuss nicht angerufen. Die Änderungen sind bisher (Stand: 29.11.2021) noch nicht in Kraft getreten.
§ 362 StPO, der die Wiederaufnahmemöglichkeiten zuungunsten des Verurteilten regelt, ist durch dieses Gesetz um eine neue Nr. 5 erweitert worden. Eine Wiederaufnahme ist danach nun auch dann möglich, wenn sich aus nachträglich verfügbaren Beweismitteln die hohe Wahrscheinlichkeit einer Verurteilung des Freigesprochenen ergibt. Im Hinblick auf die verfassungsrechtlichen Anforderungen in Art. 103 Abs. 3 GG, wo der Grundsatz „ne bis in idem” (Verbot der Doppelbestrafung: Niemand darf zweimal für dieselbe Tat angeklagt werden) verankert ist, ist die Möglichkeit einer Wiederaufnahme zuungunsten des Verurteilten allerdings nur für die Fälle vorgesehen, in denen der Vorwurf auf Mord gem. § 211 StGB oder auf ein ausschließlich mit lebenslanger Freiheitsstrafe bedrohtes Tötungsverbrechen nach dem VStGB lautet. Ziel dieser Neuregelung ist es, die Wiederaufnahme eines rechtskräftig abgeschlossenen Verfahrens zuungunsten eines freigesprochenen Angeklagten bei schwersten Straftaten auch dann zu ermöglichen, wenn erst nach Abschluss des Gerichtsverfahrens neue, belastende Beweismittel aufgefunden werden, aus denen sich mit einer hohen Wahrscheinlichkeit die strafrechtliche Verantwortlichkeit eines zuvor Freigesprochenen ergibt, sodass ein Festhalten an der Rechtskraft des freisprechenden Urteils zu – gemessen an der materiellen Gerechtigkeit – schlechterdings unerträglichen Ergebnissen führen würde (BT-Drucks 19/30399, S. 1). Gedacht ist hier an die Fälle, in denen sich neuen belastenden Informationen nach Abschluss eines Verfahrens durch neue (technische) Untersuchungsmethoden – wie dies z.B. seit den späten 1980er Jahren mit der Analyse von DNA-Material der Fall ist oder wie dies künftig auch durch die digitale Forensik zu erwarten sein wird – auftun. Es bleibt abzuwarten, ob die Neuregelung einer sicherlich in nicht allzu ferner Zeit erfolgenden verfassungsrechtlichen Prüfung durch das BVerfG standhalten wird.