Der Kläger war vom 9.10.2010 bis zu seiner fristlosen, hilfsweise ordentlichen Kündigung vom 12.8.2019 bei der Beklagten zunächst als leitender Angestellter, ab dem 19.10.2015 als Auftragnehmer, tätig. Er begehrt mit der am 29.8.2019 zugestellten Klage die Abgeltung von 270 Tagen Urlaub der Jahre 2010 bis 2018. Die Beklagte berief sich auf Verjährung. ArbG und LAG wiesen die Klage ab, das LAG stellte rechtskräftig die Arbeitnehmereigenschaft für die Jahre 2010 bis 2015 fest. Der Kläger begehrt mit der Revision Urlaubsabgeltung i.H.v. 44.890,80 EUR brutto.
Die Revision hat für die Jahre 2010 bis 2014 Erfolg, im Übrigen war sie für das Jahr 2015 abzuweisen. Ausgangspunkt ist die jüngere Rechtsprechung des BAG, wonach der Anspruch auf Urlaubsabgeltung als reiner Geldanspruch uneingeschränkt der Verjährung unterliegt. Mit Urt. v. 31.1.2023 (9 AZR 456/20, NZA 2023, 757) hat der Neunte Senat des BAG die Verjährungsvorschriften des deutschen Rechts unionsrechtskonform ausgelegt. § 199 Abs. 1 Nr. 1 BGB muss unionskonform dahingehend ausgelegt werden. Die Verjährungsfrist beginnt mit der Entstehung des Anspruchs. Im Fall des Anspruchs eines Arbeitnehmers auf Abgeltung nicht gewährten Urlaubs entsteht der Anspruch mit der rechtlichen Beendigung des Arbeitsverhältnisses und wird grundsätzlich zu diesem Zeitpunkt fällig. Weiter bedarf es für den Beginn der regelmäßigen Verjährungsfrist nach § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB der Kenntnis des Gläubigers. Der Verjährungsbeginn setzt aus Gründen der Rechtssicherheit und Billigkeit grundsätzlich nur die Kenntnis der den Anspruch begründenden Umstände voraus.
Begehrt ein Arbeitnehmer von dem Arbeitgeber, nicht genommenen Urlaub abzugelten, ist bei der Beurteilung, zu welchem Zeitpunkt die Verjährungsfrist beginnt, auf Seiten des Arbeitnehmers sowohl die grundrechtliche Gewährleistung des Eigentums als auch der grundrechtsgleiche Anspruch auf effektiven Rechtsschutz betroffen. Die Beschreitung des Rechtswegs und die Ausschöpfung prozessualer Möglichkeiten droht insb. in den Fällen vereitelt zu werden, in denen das Kostenrisiko zu dem mit dem Verfahren angestrebten Erfolg außer Verhältnis steht, sodass die Inanspruchnahme der Gerichte nicht mehr sinnvoll erscheint. Die Verjährungsfrist ist deshalb aufgeschoben, solange eine Klageerhebung für den Arbeitnehmer aufgrund der gegenteiligen höchstrichterlichen Rechtsprechung des BAG für den Arbeitnehmer nicht zumutbar war. Maßgeblich für die Beurteilung, ob eine Rechtsprechung vorliegt, die eine erfolgreiche Klage aus Sicht des Gläubigers als ausgeschlossen erscheinen lässt, ist der Zeitpunkt, in dem der Anspruch entsteht.
Die Zumutbarkeit der Klagerhebung beginnt – so der Neunte Senat – erst mit Bekanntgabe der Entscheidung des EuGH v. 6.11.2018 (C-684/16 – „Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften”, NZA 2018, 1474). Erst zu diesem Zeitpunkt hat der EuGH mit der Begründung der Mitwirkungspflichten des Arbeitgebers neue Regelungen für den Verfall von Urlaubsansprüchen vorgegeben. Bis zu diesem Zeitpunkt war einem Arbeitnehmer, der angesichts der früheren Rechtsprechung des BAG vom Verfall des Urlaubsanspruchs nach Ablauf eines Kalenderjahres oder Übertragungszeitraums ausgehen musste, eine Klageerhebung nicht zumutbar.
Die Rechtsprechung des EuGH (Urt. v. 22.9.2022 – C-120/21, NZA 2022, 1326) wonach der Urlaubsanspruch ohne Erfüllung der Mitwirkungsobliegenheit nicht verjährt, gilt für die Urlaubsabgeltung nicht. Der Urlaubsanspruch und der Urlaubsabgeltungsanspruch sind zu unterscheiden. Es besteht keine Zweckidentität und damit keine Gleichbehandlung. Der Beendigungszeitpunkt des Arbeitsverhältnisses bildet eine Zäsur, weil danach: (1) keine Freistellung zu Erholungszwecken unter Fortzahlung des Arbeitsentgelts mehr möglich ist, (2) weder neue Urlaubsansprüche entstehen noch bestehende nach § 7 Abs. 3 BUrlG erlöschen können und (3) der innere Zusammenhang zwischen der tatsächlich geleisteten bzw. zu leistenden Arbeit und dem Urlaub durch deren Umwandlung in einen Abgeltungsanspruch aufgelöst wird. Nach der Beendigung des Arbeitsverhältnisses trifft den Arbeitgeber keine Mitwirkungsobliegenheit mehr, weil eine Realisierung des Urlaubsanspruchs unmöglich ist. Auch die strukturelle Unterlegenheit des Arbeitnehmers gegenüber seinem Arbeitgeber endet mit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses.
Konkret: Für die Urlaubsansprüche des laufenden Arbeitsverhältnisses galt die Mitwirkungsobliegenheit des Arbeitgebers, welche nicht erfüllt war. Eine Befristung konnte nicht eintreten. 150 Tage der Jahre 2010 bis 2014 verjährten bis zum 6.11.2018 nicht. Im Jahr 2015 war das Arbeitsverhältnis beendet, weshalb der Urlaubsanspruch des Jahres 2015 fällig wurde und mit Anlauf des Jahres 2018 verjährt war.
Hinweise:
- Ansprüche auf die Abgeltung von Urlaubsansprüchen aus Jahren vor 2018, die wegen der Verletzung der Mitwirkungsobliegenheiten nicht verfallen waren, konnten aufgrund der vorstehenden Entscheidung nur bis zum Ablauf der Verjährungsfrist beg...