In der jüngeren Vergangenheit kam es wiederholt zu Streitigkeiten um die in § 50 BRAO geregelte Pflicht zur Herausgabe der anwaltlichen Handakte (BGH, Beschl. v. 9.7.2014 – XII ZB 709/13; Urt. v. 3.11.2014 – AnwZ [Brfg] 72/13, ZAP EN-Nr. 204/2015; Urt. v. 3.11.2014 – AnwSt [R] 5/14). Auch 2018 hatte sich der BGH erneut mit der Reichweite dieser Herausgebepflicht zu beschäftigen (Urt. v. 17.5.2018 – IX ZR 243/17, ZAP EN-Nr. 534/2018). Im Streitfall, in dem wie so oft ein Insolvenzverwalter den Herausgabeanspruch geltend machte, berief sich die beklagte Rechtsanwaltsgesellschaft darauf, dass die Handakte auch vertrauliche Mandanteninformationen zu Dritten enthalte. Der IX. Senat stellte zwar – anknüpfend an ein Urteil vom 30.11.1989 (Az. III ZR 112/88) – heraus, dass von der grundsätzlich umfassenden Herausgabepflicht eine Ausnahme für solche Unterlagen anzuerkennen sei, die nicht lediglich über das Tun im Rahmen der Vertragserfüllung Aufschluss geben, sondern persönliche Eindrücke, die der Anwalt in den Gesprächen gewonnen hat, wiedergeben. Darüber hinaus sei dem Anwalt bei der Ausführung des Mandats ein gewisser Freiraum zuzuerkennen, vertrauliche "Hintergrundinformationen" zu sammeln, die er auch und gerade im wohl verstandenen Interesse seines Mandanten sowie im Interesse der Rechtspflege diesem gegenüber verschweigen dürfe. Zudem könnten grundsätzlich Verschwiegenheitspflichten des auf Herausgabe der Handakte in Anspruch genommenen Rechtsanwalts mit Rücksicht auf Interessen seiner sonstigen Mandanten bestehen. Persönliche Geheimhaltungsinteressen von an Besprechungen mit dem Anwalt beteiligten dritten Personen würden allerdings für diesen zumindest nicht ein uneingeschränktes Auskunftsverweigerungsrecht begründen. So erstrecke sich die Herausgabepflicht in aller Regel auch auf Gespräche, die der Anwalt der späteren Schuldnerin mit deren Organmitgliedern geführt habe; ein Auskunftsverweigerungsrecht komme in einer solchen Konstellation nur dann in Betracht, wenn zwischen dem Anwalt und dem einzelnen Organmitglied eine besondere Vertrauensbeziehung bestanden habe, die individuell begründet worden sei, etwa dadurch, dass das betreffende Mitglied den Anwalt ausdrücklich um eine persönliche Beratung gebeten hat. Solche Sachverhalte seien aber schon im Hinblick auf mögliche Interessenkonflikte mit dem ursprünglichen Auftraggeber die Ausnahme.
Vor diesem Hintergrund verlangte der Senat von der beklagten Rechtsanwaltsgesellschaft zu Recht – entsprechend § 383 Abs. 1 Nr. 6 ZPO – die Darlegung konkreter Tatsachen, warum im Streitfall ein solches Weigerungsrecht bestehen soll. Dies vermag umso mehr einzuleuchten, als ein Rechtsanwalt grundsätzlich für jeden Fall eine gesonderte Handakte zu führen hat. Es bedarf daher in der Tat einer besonderen Begründung, warum auch Dokumente dritter Personen, die ein anderes Mandatsverhältnis betreffen, Teil der Handakte sein sollen. Im Ergebnis kann die Berufung auf die anwaltliche Verschwiegenheitspflicht den Anspruch auf Herausgabe der Handakte nur im Ausnahmefall ausschließen (vgl. auch Prütting NJW 2018, 2321 f.).
In diesem Zusammenhang erwähnenswert ist auch eine Entscheidung des LG Frankfurt/M. (Urt. v. 1.3.2018 – 2-25 O 125/17), nach der der Anspruch des Mandanten auf Herausgabe der Handakten nach §§ 195, 199 BGB innerhalb von drei Jahren nach Mandatsbeendigung verjährt, obwohl sich aus dem Berufsrecht eine längere Aufbewahrungsfrist (von inzwischen sechs Jahren, vgl. § 50 Abs. 1 S. 2 BRAO) ergibt. Insoweit hebt die Kammer hervor, dass Zweck der berufsrechtlichen Aufbewahrungsfrist nicht primär das Interesse der Mandanten ist, sondern Zwecke der Aufsicht im Vordergrund stehen. Zu beachten ist allerdings, dass sich diese Entscheidung in erster Linie zum zivilrechtlichen Herausgabeanspruch nach §§ 667, 675 Abs. 1 BGB verhält und vor der Neuregelung des § 50 BRAO (dazu Deckenbrock NJW 2017, 1425, 1426 f.) ergangen ist. Es bleibt daher offen, ob die zivilrechtliche Verjährungsregelung auch die Durchsetzbarkeit des inzwischen anerkannten, unmittelbar aus § 50 BRAO folgenden berufsrechtlichen Herausgabeanspruch zeitlich begrenzen kann.