1 Experten mahnen Gesetz zur Impfreihenfolge an
Rechtsexperten fordern eine gesetzliche Grundlage des Bundestages für die Prioritätensetzung beim Corona-Impfprogramm. Die Verordnung des Bundesgesundheitsministeriums sei verfassungsrechtlich unzureichend, erklärten Juristen anlässlich einer Anhörung des Gesundheitsausschusses des Bundestages Mitte Januar 2021. Die Sachverständigen äußerten sich in schriftlichen Stellungnahmen.
Der Rechtswissenschaftler Thorsten Kingreen von der Universität Regensburg erklärte, die Verfahrensgerechtigkeit sei besonders wichtig, wenn Unsicherheit über das künftige Geschehen bestehe oder grundrechtlich relevante Verteilungsentscheidungen gefällt werden müssten, für die es keine allgemein anerkannten Kriterien gebe. Der Parlamentsvorbehalt untersage dem Gesetzgeber, sich bei wesentlichen Entscheidungen, insb. bei solchen mit Grundrechtsbezug, seiner Verantwortung durch Delegation zu entledigen. Bei der Reihenfolge der Schutzimpfungen gehe es um eine Zuteilung von Lebenschancen. Der Gesetzgeber müsse die wesentlichen Entscheidungen darüber, wer mit welcher Priorität Anspruch auf die Schutzimpfungen habe, selbst treffen.
Ähnlich argumentierte die Juristin Andrea Kießling von der Ruhr-Universität Bochum. Sie kam zu dem Schluss, dass es derzeit keine Vorschrift gebe, die das Bundesgesundheitsministerium zur Festlegung der Impfreihenfolge ermächtige. Wesentlichkeitstheorie und Parlamentsvorbehalt verlangten, dass die Verteilungsziele und Verteilungskriterien für die Impfstoffe durch ein Parlamentsgesetz festgelegt würden. Sie empfahl, eine solche Vorschrift im Infektionsschutzgesetz (IfSG) zu verankern.
Die Juristin Anna Leisner-Egensperger von der Universität Jena vermisste ebenfalls eine eindeutige Rechtsgrundlage. Einen ausdrücklichen Hinweis auf die Notwendigkeit einer Priorisierung bei der Verteilung eines knappen Impfstoffs enthalte der entsprechende § 20i Abs. 3 SGB V nicht. Dieser Paragraf könne nicht als Rechtsgrundlage einer Priorisierungsentscheidung angesehen werden. Die Vorschrift gebe auch nicht an, welchem Zweck eine Priorisierung dienen und welches Ausmaß sie haben solle, wo also Grenzen lägen.
Auch der Theologe und Ethiker Peter Dabrock von der Universität Erlangen-Nürnberg sieht in der bisherigen Rechtslage ein Problem. Wenn in einer akuten Herausforderung wie der Impfpriorisierung der Bundestag diesen Bereich nicht regele, sei dies demokratietheoretisch und konkret-ethisch als schweres Versäumnis anzusehen. Er warnte, angesichts der erheblichen praktischen Probleme bei der Umsetzung der Impfstrategie drohe ein weiterer Vertrauensverlust der Politik.
Die Caritas machte in dem Zusammenhang auf die besonders kritische Lage für manche Behinderte und Kranke in der Pandemie aufmerksam. Die bisherige Regelung in der Impfverordnung benachteilige u.a. pflegebedürftige Menschen mit Schwerst- und Mehrfachbehinderung.
[Quelle: Bundestag]
2 Lage bei Freiberuflern weiterhin angespannt
Die Geschäftslage bleibt in den freien Berufen aufgrund der Corona-Krise weiterhin angespannt. Dies ergibt sich aus der aktuellen Konjunkturumfrage Winter 2020 unter rund 1.200 Freiberuflern zwischen Mitte September und Anfang November, deren Ergebnisse der Bundesverband der Freien Berufe (BFB) jetzt vorgestellt hat.
So sei die bisherige Bilanz des Corona-Jahres 2020 für rund vier von zehn Freiberuflern (45,6 %) bitter; bei ihnen habe sich die Lage im Vergleich zu 2019 verschlechtert, fasste BFB-Präsident Prof. Dr. Wolfgang Ewer die Resultate der Umfrage zusammen. Für 25,3 % der Befragten sei der bisher entstandene wirtschaftliche Schaden bereits existenzbedrohend. Dies beruhe auf einem merklichen Auftragsrückgang seit März von mehr als 50 %, der jeden dritten Freiberufler treffe. Die Krise gehe bei ihnen an die Substanz. Um sie abzufedern, habe jeder dritte Betroffene bereits betriebliche Rücklagen eingesetzt, 7,5 % sogar die eigene Altersvorsorge.
"Die Gruppe derjenigen, die ihre momentane Geschäftslage als schlecht bewerten, hat sich fast verdoppelt, von 11 % im letzten Winter auf jetzt 20,3 %. Auch mit Blick auf das kommende Halbjahr sind die Freien Berufe verhaltener als vor einem Jahr: Der Anteil derjenigen, die in den nächsten sechs Monaten eine ungünstigere Entwicklung erwarten, hat sich fast verdoppelt, von 16,5 % im Winter 2019 auf nunmehr 29,6 %", erläuterte Prof. Ewer.
Wie aus der Umfrage weiter hervorgeht, setzten 34,5 % der befragten Freiberufler bislang Rücklagen ein und 1,3 % veräußerten Betriebseigentum. 7,5 % seien oder waren auch gezwungen, ihre Altersvorsorge einzusetzen, so sie darauf zurückgreifen konnten. 22,1 % stoppten Investitionen und 7,1 % ergriffen weitere Rationalisierungsmaßnahmen. 23,9 % bauten Urlaub und Überstunden ab. 12,3 % beantragten Kurzarbeitergeld für ihre Mitarbeiter. Liquiditätshilfen nutzten 21,5 %, Corona-Kredite 5,6 %. 29,1 % weiteten ihre digitalen Angebote aus, indem sie ihre Leistung dort, wo möglich, z.B. in Videoformaten erbrachten.
Immerhin: 49,2 % der befragten Freiberufler waren seit Auftreten der Pandemie nicht von Zahlungsausfällen ihrer Kunden be...