Ein Zwischenfazit im Jahr zwei von Corona und gleichzeitig ein Plädoyer für die verstärkte Nutzung der Möglichkeiten einer Videoverhandlung.

Ausgangslage

Die Corona-Pandemie beeinflusst unseren Arbeitsalltag weiter sehr stark: Von offizieller Seite kommt weiterhin die Aufforderung zur allgemeinen Kontaktreduzierung und -beschränkung und – i.R.d. Möglichkeiten – zur Nutzung des Homeoffice sowie zur Reduzierung von unnötigen Fahrten. Auf Arbeitgeberseite lässt sich dies weiterhin problemlos umsetzen (vielen Dank hierfür!), gerade im Bereich der Prozessführung hat man teilweise jedoch den Eindruck, es sei alles wieder wie vor COVID-19 und diese offiziellen Verlautbarungen könnten getrost ignoriert werden. Die Terminsladungen im Spätherbst und jetzt zu Jahresbeginn häufen sich, Videoverhandlungen werden dabei proaktiv kaum noch angeboten, auch Anträge hierauf sind nur unter erschwerten Bedingungen – wenn überhaupt – erfolgreich; selbst dann, wenn beide Parteien übereinstimmend solch eine Art der Verhandlungsführung beantragen. Ein Vorrang der Parteiherrschaft scheint in diesem Bereich nicht zu existieren.

Ein Antrag nach § 128a ZPO – und dann?

Man hat zeitweise den Eindruck, dass einzelne Richter weniger oder gar nicht mehr an der Führung von Videoverhandlungen interessiert und stattdessen allenfalls versuchen, die Situation zu ihrem Vorteil zu nutzen (zu den spaßigen Situationen in diesem Zusammenhang s. ZAP 2021, S. 675 f. und ZAP 2021, S. 779 f.). Beispielsweise kam es in den vergangenen Wochen und Monaten nicht nur einmal vor, dass Gerichte Anträge auf Durchführung einer Videoverhandlung unter mehr oder weniger dubiosen Begründungen abgelehnt haben. Mein Favorit: "Transportrechtliche Streitigkeiten seien hierfür schlichtweg ungeeignet." Dass dasselbe Gericht im ersten Jahr der Pandemie regelmäßig Videoverhandlungen mit mehreren Beteiligten (d.h. Kläger, Beklagter und Streitverkündeter) durchaus erfolgreich und ohne Probleme durchgeführt hatte, interessierte augenscheinlich keinen mehr.

Exkurs – die Technik(-probleme)

Selbstverständlich sorgt es für Frust auf allen Seiten, wenn es technische Störungen gibt (in Erinnerung bleibt der plötzlich verstummte Kollege, der nur noch per Handzeichen sein Einverständnis bzw. seine Ablehnung zu einem Vergleichsvorschlag abgegeben konnte) oder die Nutzung der jeweiligen, vom Gericht bestimmten Software nicht optimal erfolgt (Bild an, Ton aus oder umgekehrt). Föderalismus und teils von OLG-Bezirk zu OLG-Bezirk unterschiedliche Systeme für die Videoverhandlung führen dazu, dass es auf Seiten der Anwaltschaft manchmal zu Verzögerungen kommt, bis alles "perfekt" für die Verhandlung eingerichtet ist und man schließlich beginnen kann. Nicht jeder Browser harmoniert mit jedem Konferenzprogramm, dementsprechend sind auch die Audio- und Videoeinstellungen bei Bedarf in jedem Programm individuell anzupassen und ausführliche Nutzungshinweise gibt es von Seiten der Justiz auch nur selten. Insofern ist erfahrungsgemäß immer ein gewisser zeitlicher Puffer miteinzuplanen. Gleichwohl sollte dies meiner Meinung nach kein Grund sein, auf die Durchführung von Videoverhandlungen generell zu verzichten. Übung macht schließlich den Meister. Der Weg hierhin ist oftmals jedoch steinig.

§ 128a ZPO nur i.V.m. § 349 Abs. 3 ZPO!?

Kritisch wird es meiner Auffassung nach insb. dann, wenn man schließlich vor die Wahl gestellt wird, einer Entscheidung des/der Vorsitzenden anstelle der kompletten Kammer für Handelssachen zuzustimmen, da eine Videoverhandlung unter Beteiligung der Handelsrichter angeblich "technisch" nicht möglich sei. Warum es eine Kammer für Handelssachen nicht schafft, Kamera und Mikrofone so auszurichten wie es ein komplett besetzter OLG-Senat machen kann, bleibt das Geheimnis des jeweiligen Gerichts. Offensichtlich nutzt man den Wunsch nach einer Videoverhandlung hier, um sich die Arbeit möglichst zu erleichtern und die Handelsrichter damit außen vor zu lassen.

Keine Anwendung von § 128a ZPO wegen § 141 ZPO?

Auch der Wunsch mancher Richter, einen Rechtsstreit möglichst per Vergleich zu beenden, führte meinen Beobachtungen zufolge öfters dazu, auf die Durchführung einer Videoverhandlung zu verzichten. Teilweise wurde dieser Aspekt auch von den Gerichten selbst genauso offen kommuniziert (vor Ort spricht es sich schließlich leichter) und die Parteien in einem Fall gar zwischendurch mehrfach zur Führung von Vergleichsgesprächen vor den Gerichtssaal geschickt. Dass solch eine Vorgehensweise am Ende eher kontraproduktiv ist, wenn z.B. der zuständige Geschäftsführer eines Prozessbeteiligten zu einer sog. Risikogruppe gehört und für die An- und Abfahrt zur Terminswahrnehmung eine zweistellige Stundenzahl in seinem Fahrzeug verbringen muss, dürfte die Leserschaft nicht allzu sehr verwundern. Eine Vollmacht nach § 141 Abs. 3 ZPO ersparte zumindest dem Geschäftsführer die Strapazen der Fahrt – ein Vergleich kam auch trotz mehrfachen "Austretens" nicht zustande.

Argumente für eine Videoverhandlung

Die Cha...

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