Für den Bereich der Anwaltshaftung ist beim BGH der IX. Zivilsenat zuständig. Daneben haben im abgelaufenen Jahr aber auch eine Reihe anderer Senate einschlägige Entscheidungen veröffentlicht (speziell zur Entwicklung des Anwaltshaftungsrechts von Mitte 2021 bis Mitte 2022 Jungk, NJW 2022, 3551 ff.).
1. Anforderungen an die Unterschrift eines Schriftsatzes
Der VIII. Senat hat sich zum Erfordernis der Unterschrift durch die den Schriftsatz verantwortende Person nach § 130 Nr. 6 ZPO geäußert (BGH, Beschl. v. 6.12.2022 – VIII ZA 12/22). Im zugrunde liegenden Fall hatte ein zur Vertretung berechtigter Rechtsanwalt die von einem Kollegen verfasste Berufungsbegründung unterschrieben und dabei folgenden Zusatz hinzugefügt: „Unterzeichnend für den vom Kollegen verfassten und verantworteten Schriftsatz als Kammervertreter ”. Damit fehlte es nach Auffassung des BGH an einer wirksamen Unterschrift i.S.v. §§ 520 Abs. 5, 130 Nr. 6 ZPO, da der Schriftsatz von dem verfassenden Rechtsanwalt nicht unterzeichnet und vom unterzeichnenden Rechtsanwalt nicht verantwortet worden sei. Die Unterschrift sei keine bloße Formalität, sondern äußerer Ausdruck für die vom Gesetz geforderte eigenverantwortliche Prüfung des Inhalts der Begründungsschrift durch den Anwalt.
Zugleich dürfen die formellen Voraussetzungen für die Geltendmachung eines Rechtsschutzbegehrens auch nicht überspannt werden. So hat der BGH in einem anderen Verfahren darauf hingewiesen, dass das Fehlen der Unterschrift ausnahmsweise unschädlich sein könne, wenn sich zum Zeitpunkt des Fristablaufs aus anderen Anhaltspunkten eine der Unterschrift vergleichbare Gewähr für die Urheberschaft und den Willen, das Schreiben in den Rechtsverkehr zu bringen, ergebe (Beschl. v. 22.3.2022 – VI ZB 27/20 m. Anm. Fischer, LMK 2022, 810505). Dies sei insb. dann der Fall, wenn gleichzeitig eine beglaubigte Abschrift des Schriftsatzes eingereicht wird, auf welche der Prozessbevollmächtige handschriftlich einen Beglaubigungsvermerk gesetzt hat, sofern die Unterschrift unter dem Beglaubigungsvermerk dem aus der Urschrift ersichtlichen Urheber des Schriftsatzes zurechenbar ist (BGH, Beschl. v. 22.3.2022 – VI ZB 27/20). Nicht ausreichend sei es aber, wenn sich auf dem unterschriebenen Beglaubigungsvermerk nur eine unleserliche Unterschrift und ein Stempelaufdruck mit den Worten „Beglaubigt zwecks Zustellung Rechtsanwältin” findet.
2. Fristenkontrolle
Auch im Jahr 2022 hatte sich der BGH mit den Voraussetzungen der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bei Fristsäumung zur Begründung eines Rechtsmittels auseinanderzusetzen (vgl. hierzu auch Rohwetter-Kühl, NJW 2022, 1990). Nach § 233 ZPO ist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand u.a. zu gewähren, wenn eine Partei ohne ihr Verschulden verhindert war, die Begründungsfrist einzuhalten. Dabei ist der Partei das Verschulden ihres Prozessbevollmächtigten zuzurechnen (§ 85 Abs. 2 ZPO). Um ein Verschulden auszuschließen, muss im Hinblick auf die Übertragung der Fristenberechnung und -notierung durch geeignete organisatorische Maßnahmen sichergestellt sein, dass Fristen zuverlässig festgehalten und kontrolliert werden. Dazu gehört insb., dass Rechtsmittelfristen in der Handakte notiert werden und die Handakte durch entsprechende Erledigungsvermerke oder auf sonstige Weise erkennen lässt, dass die Fristen in den Fristenkalender eingetragen worden sind. Insofern muss ein Rechtsanwalt, wie der BGH nunmehr klargestellt hat, im Rahmen seiner Pflicht zur ordnungsgemäßen Büroorganisation seine Mitarbeiter klar anweisen, dass stets und unter allen Umständen zuerst die Fristen im Kalender einzutragen sind (BGH, Beschl. v. 29.6.2022 – XII ZB 9/22, ZAP EN-Nr. 673/2022 [Ls.] m. Anm. Prinz, NZFam 2022, 999; Mayer, FD-RVG 2022, 451535).
Zu den erforderlichen organisatorischen Vorkehrungen zählt nach dem BGH auch die allgemeine Anordnung, bei umfangreicheren Prozesshandlungen – wie z.B. einer Rechtsmittelbegründung – außer dem Datum des Fristablaufs noch eine grds. etwa einwöchige Vorfrist zu notieren, um sicherzustellen, dass selbst bei Unregelmäßigkeiten und Zwischenfällen noch eine ausreichende Überprüfungs- und Bearbeitungszeit bis zum Ablauf der zu wahrenden Frist verbleibt (BGH, Beschl. v. 20.9.2022 – VI ZB 17/22, ZAP EN-Nr. 691/2022 [Ls.] m. Anm. Stein, IBR 2022, 3357). Weiterhin sollen Anwälte im Rahmen ihrer Überwachungspflichten bei Ablauf einer Vorfrist auch das vom Büropersonal notierte Ende der Berufungsbegründungsfrist kontrollieren müssen (BGH, Beschl. v. 22.11.2022 – VIII ZB 2/22; ähnlich zur Anfertigung einer Rechtsmittelschrift BGH, Beschl. v. 15.3.2022 – VI ZB 20/20). Allerdings dürfen an die Überwachungspflichten auch nicht zu hohe Anforderungen gestellt werden. So ließ der BGH es ausreichen, dass ein Prozessbevollmächtigter im Fall einer von ihm erkannten Falschadressierung die Bürokraft angewiesen hatte, den richtig adressierten Schriftsatz zu versenden, und den falsch adressierten Schriftsatz zu vernichten (Beschl. v. 15.12.2021 – IV ZB 11/21).
Anweisung und Organisation entbinden Rechtsanwälte gleichwohl nicht von ihren ...