a) Masernimpfung
In einem Rechtsstreit über die Pflicht zum Nachweis einer Impfung gegen Masern (§ 20 Abs. 8 S. 3 IfSG) hat das BVerfG (FamRZ 2022, 1690 = NJW 2022, 2904) Grenzen des staatlichen Eingriffs in das Erziehungsrechts der Eltern aufgezeigt und dargelegt, dass in den Beziehungen zum Kind das Kindeswohl die maßgebende Richtschnur der elterlichen Pflege und Erziehung ist. Die Entscheidung über die Vornahme von Impfungen bei einem entwicklungsbedingt noch nicht selbst entscheidungsfähigen Kind ist ein wesentliches Element der elterlichen Gesundheitssorge und fällt in den Schutzbereich von Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG. Bei der Ausübung der am Kindeswohl zu orientierenden Gesundheitssorge für ihr Kind sind die Eltern jedoch weniger frei, sich gegen Standards medizinischer Vernünftigkeit zu wenden, als sie es kraft ihres Selbstbestimmungsrechts über ihre eigene körperliche Integrität wären.
b) Gerichtliche Übertragung der Entscheidungsbefugnis betr. die Corona-Schutzimpfung
Bei Uneinigkeit der Eltern in einer einzelnen Angelegenheit oder einer bestimmten Art von Angelegenheiten der elterlichen Sorge, deren Regelung für das Kind von erheblicher Bedeutung ist, ermächtigt § 1628 S. 1 BGB die Gerichte unter Wahrung des Elternrechts aus Art. 6 Abs. 2 GG dazu, einem Elternteil die Entscheidungskompetenz zur Herbeiführung einer notwendigen Entscheidung zu übertragen. Eine eigene Sachentscheidung hat das Gericht daher nicht zu treffen (vgl. BVerfG FamRZ 2003, 511). Bei der Corona-19-Schutzimpfung handelt es sich nach allgemeiner Auffassung um eine Angelegenheit von erheblicher Bedeutung für das Kind.
In Übereinstimmung mit der allgemeinen Meinung betont das OLG Brandenburg (FamRZ 2020, 1852), dass die Entscheidungsbefugnis hinsichtlich der Zustimmung zur Impfung gegen das Corona-Virus SARS-CoV-2 mit einem mRNA-Impfstoff bei der vorhandenen Empfehlung der Impfung durch die Ständige Impfkommission (STIKO) und mangels entgegenstehender besonderer Impfrisiken beim Kind auf denjenigen Elternteil zu übertragen ist, der die Impfung befürwortet.
Bereits in einer früheren Entscheidung hat das OLG Brandenburg (FamRZ 2022, 1704) hervorgehoben, dass maßgebend ist, welcher Elternteil am ehesten geeignet ist, eine am Kindeswohl ausgerichtete Entscheidung bei der vorhandenen Empfehlung der Impfung durch die Ständige Impfkommission zu treffen und wer bei der Gesundheitssorge das bessere Konzept verfolgt. Bei der Kindeswohlprüfung ist auch der Wille des Kindes beachtlich, wenn das Kind im Hinblick auf sein Alter und seine Entwicklung eine eigenständige Meinung zum Gegenstand des Sorgerechtsstreit bilden kann.
Auch das OLG München (FamRZ 2022, 120) weist auf die Bedeutung des Kindeswillens hin und hält einen normal entwickelten 13-Jährigen für fähig, sich eine Meinung zur Frage der Covid-19-Schutzimpfung zu bilden. Es bejaht die Eilbedürftigkeit für die Übertragung der Entscheidungsbefugnis auch für von der STIKO empfohlenen Auffrischungs- und Folgeimpfung (so auch OLG München, FamRZ 2021, 1980; a.A. OLG Rostock, FamRZ 2022, 192).