(LAG Hamm, Beschl. v. 12.1.2023 – 18 Sa 909/22) • Die elektronische Einreichungspflicht nach § 46g ArbGG begegnet keinen verfassungsrechtlichen Bedenken. § 46g S. 3 ArbGG sieht eine Ausnahme von der elektronischen Einreichungspflicht für den Fall vor, dass eine Übermittlung aus technischen Gründen vorübergehend nicht möglich ist, nicht jedoch bei subjektivem Unvermögen des Prozessbevollmächtigten. Rechtsanwälte sind nicht nur nach § 31a Abs. 6 BRAO verpflichtet, die für die Nutzung des beA erforderlichen technischen Einrichtungen vorzuhalten, vielmehr müssen sie sich auch die Kenntnisse zur Nutzung dieser technischen Einrichtungen aneignen, damit sie die zugestellten Dokumente auch zur Kenntnis nehmen und Schriftsätze im Notfall auch ohne das Sekretariat fristwahrend versenden können. Der Anwalt verletzt seine Sorgfaltspflicht, wenn er sich mit dieser Anwendung nicht hinreichend auseinandersetzt und blind auf das Funktionieren seines Sekretariats vertraut.
Anmerkung: Die Begründung des Rechtsanwalts, in einer arbeitsteilig strukturierten Anwaltssozietät würde eine „vorübergehende technische Störung” auch dann bestehen, wenn das Sekretariat aufgrund der Corona-Erkrankung der einen Sekretärin und des Feierabends der zweiten Sekretärin nicht mehr besetzt sei und die Nutzung des Rechtsanwalt-Softwareprogramms dem Rechtsanwalt nicht vertraut sei, weil die Nutzung des Programms ausschließlich dem Sekretariat zugewiesen war, ließ das Gericht nicht gelten. Eine vorübergehende technische Störung sei nicht mit dem Unvermögen des Einreichers gleichzustellen. Zunächst ging es um die Zustellung des elektronischen Empfangsbekenntnisses (eEB). Der Rechtsanwalt hatte im Einspruchsschriftsatz auf das ihm „am 5.8.2022 zugegangene Versäumnisurteil” Bezug genommen und danach das eEB mit einem Zustelldatum vom 12.8.2022 versehen. Für die Wirksamkeit der Zustellung kommt es nicht auf den Eingang in der Kanzlei, sondern darauf an, dass der Rechtsanwalt das ihm zugestellte Schriftstück mit dem Willen entgegengenommen hat, es als zugestellt gegen sich gelten zu lassen. Denn selbst wenn man das Datum vom 12.8.2022 zugrunde legt, wäre die Einspruchsfrist nicht gewahrt gewesen, weil der Einspruch nicht formgerecht innerhalb der Frist eingelegt wurde. Die Sorgfaltspflicht des Rechtsanwalts erhöht sich, wenn der Personalbestand der Kanzlei krankheitsbedingt vermindert ist. Der Rechtsanwalt versandte den Schriftsatz um 13.20 Uhr per Fax. Es sei nicht ersichtlich, warum es nicht möglich war, den Schriftsatz vor 13 Uhr (Arbeitsende der Mitarbeiterin) zu versenden.
Praxistipp:
Nicht nur das Personal muss umfassend in der Bedienung des beA geschult werden (vgl. BGH, Beschl. v. 11.1.2023 – IV ZB 23/21), auch der Rechtsanwalt selbst hat sich mit dem beA vertraut zu machen. Das vom Gericht als „subjektives Unvermögen” des Rechtsanwalts bezeichnete Verhalten kann einer „technischen Störung” nicht gleichgesetzt werden, sonst könnte die umfassende Nutzungspflicht des ERV leicht umgangen werden. Egal ob die Nutzung des ERV über die beA-Webanwendung oder das in diesem Fall verwendete Anwaltsprogramm RA-Micro erfolgt, der Rechtsanwalt muss in der Lage sein, Schriftsätze im Notfall auch ohne das Sekretariat versenden zu können. Und für den Fall, dass der Versand über das Anwaltsprogramm nicht funktioniert (z.B. weil der Empfänger in der Software nicht hinterlegt oder nicht auffindbar ist), sollten sowohl Personal als auch Anwalt in der Lage sein, über die beA-Webanwendung den Schriftsatz fristgemäß zu versenden.