Die Rechtsanwälte haben sich so langsam an die Anforderungen des elektronischen Rechtsverkehrs gewöhnt, auch wenn viele Wiedereinsetzungsverfahren belegen, dass nicht in jedem Anwaltsbüro immer alles fehlerfrei abläuft. So ist beispielsweise nicht jedem Anwalt bekannt, wie mit einem in einem gerichtlich geschlossenen Vergleich vereinbarten Widerrufsvorbehalt zu verfahren ist, selbst wenn die früher übliche Regelung vereinbart wurde, der Widerruf könne durch einfache schriftliche Anzeige an das Gericht erfolgen. Erfolgt die Vergleichswiderrufserklärung durch einen Rechtsanwalt, muss sie seit dem 1.1.2022 dem Gericht gem. § 130d S. 1 ZPO als elektronisches Dokument übermittelt werden (s. OLG Köln NJW 2023, 305). Wird der Fehler nicht innerhalb der Widerrufsfrist bemerkt und die Widerrufserklärung nachträglich form- und fristgerecht eingereicht oder macht der Rechtsanwalt nicht gem. § 132d S. 2 ZPO unverzüglich glaubhaft, dass die elektronische Übermittlung aus technischen Gründen vorübergehend nicht möglich gewesen ist, wird der Vergleich nach Ablauf der Widerrufsfrist endgültig wirksam. In einem solchen Fall hat das Prozessgericht auf Antrag festzustellen, dass der Rechtsstreit trotz des Widerrufs durch den Widerrufsvergleich beendet worden ist (s. OLG Köln, a.a.O.).
Dass aber auch die Bezirksrevisoren als Vertreter des jeweiligen Bundeslandes die Formerfordernisse des elektronischen Rechtsverkehrs beachten müssen, ist in der Praxis nicht immer bekannt, wie der Beschluss des LSG Nordrhein-Westfalen v. 12.5.2023 (L 19 AS 1476/22 B) zeigt.
1. Der Fall des LSG Nordrhein-Westfalen
Das LSG Nordrhein-Westfalen hatte den Klägern in einem vor dem SG Gelsenkirchen begonnenen sozialgerichtlichen Verfahren Prozesskostenhilfe unter Beiordnung ihres Prozessbevollmächtigten bewilligt. Nach Beendigung des Verfahrens hat der Klägervertreter beantragt, seine Vergütung aus der Staatskasse auf 969,79 EUR festzusetzen. Die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle hat dem Antrag nur i.H.v. 603,79 EUR entsprochen. Gegen die Absetzung des Differenzbetrags hat der Rechtsanwalt der Klägerin Erinnerung eingelegt. Das SG Gelsenkirchen hat der Erinnerung durch Beschl. v. 26.8.2022 ganz überwiegend abgeholfen und die dem Rechtsanwalt aus der Staatskasse zustehenden Gebühren und Auslagen auf 960,69 EUR festgesetzt. Dieser Beschluss wurde der Staatskasse, vertreten durch den Bezirksrevisor, am 30.8.2022 zugestellt. Mit Schreiben vom 6.9.2022, per Telefax beim SG Gelsenkirchen am 7.9.2022 eingegangen, hat der Bezirksrevisor gegen den Beschluss des SG vom 26.8.2022 Beschwerde mit dem Ziel eingelegt, die dem Klägervertreter aus der Staatskasse zu zahlende Vergütung nur auf 270,59 EUR festzusetzen.
Das für die Entscheidung über diese Beschwerde zuständige LSG Nordrhein-Westfalen hat den Bezirksrevisor mit Vergütung vom 13.4.2023 darauf hingewiesen, seine Beschwerde sei unzulässig, da sie nicht als elektronisches Dokument übermittelt worden sei. Der Bezirksrevisor hat von der ihm eingeräumten Möglichkeit, hierzu Stellung zu nehmen, keinen Gebrauch gemacht. Das LSG Nordrhein-Westfalen hat die Beschwerde des Bezirksrevisors als unzulässig verworfen.
2. Beschwerdeführer
Zunächst hat das LSG Nordrhein-Westfalen festgestellt, dass nach den maßgeblichen landesrechtlichen Vorschriften im Verfahren auf Festsetzung der PKH-Anwaltsvergütung das Land Nordrhein-Westfalen als „Staatskasse” anzusehen ist, und das Land vom Bezirksrevisor vertreten werde. Dieser sei organisatorisch dem Land Nordrhein-Westfalen zugeordnet und trete für dieses Land als Handelnder auf. Beschwerdeführer sei jedoch gleichwohl das Land Nordrhein-Westfalen als juristische Person des öffentlichen Rechts.
3. Formerfordernisse der Beschwerde
Gemäß § 56 Abs. 2 S. 1 RVG i.V.m. § 33 Abs. 7 RVG ist eine Beschwerde im Verfahren auf Festsetzung der PKH-Anwaltsvergütung schriftlich einzureichen oder zu Protokoll der Geschäftsstelle abzugeben. Gemäß § 12b S. 1 RVG sind in Verfahren nach dem RVG die verfahrensrechtlichen Vorschriften über die elektronische Akte und über das elektronische Dokument für dasjenige Verfahren anzuwenden, in dem der Rechtsanwalt die Vergütung erhält. Dies war hier das sozialgerichtliche Verfahren, das vor dem SG Gelsenkirchen begonnen hatte.
Damit waren für das vorliegende Beschwerdeverfahren die verfahrensrechtlichen Vorschriften über die elektronische Akte und über das elektronische Dokument nach den §§ 65a–65d SGG, die den Formvorschriften der ZPO entsprechen, anzuwenden. Danach sind seit dem 1.1.2022 gem. § 65d S. 1 SGG, der § 132d S. 1 ZPO entspricht, vorbereitende Schriftsätze und deren Anlagen sowie schriftlich einzureichende Anträge und Erklärungen, die durch einen Rechtsanwalt, durch eine Behörde oder durch eine juristische Person des öffentlichen Rechts eingereicht werden, an das Gericht als elektronisches Dokument zu übermitteln. Dabei sind die zur Nutzung verpflichteten Personen – hier also das durch den Bezirksrevisor vertretene Land Nordrhein-Westfalen – verpflichtet, die entsprechenden Geräte vorzuhalten und deren Bedienung zu beherrschen (s. etwa OLG Hamm NJW-RR...