In der Praxis ist es häufig umstritten, ob Privatgutachtenkosten von der im Rechtsstreit unterlegenen Partei zu erstatten sind. Diese Frage hat insbesondere deshalb große praktische Bedeutung, weil die Privatgutachtenkosten nicht selten die übrigen Kosten des Rechtsstreits übersteigen. Deshalb sollen nachfolgend die vom BGH entwickelten Grundsätze seiner Rechtsprechung dargestellt werden.
1. Gesetzliche Grundlagen
Auch die Erstattungsfähigkeit von Privatgutachtenkosten beurteilt sich nach § 91 Abs. 1 S. 1 ZPO, wonach die unterliegende Partei die Kosten des Rechtsstreits zu tragen, insbesondere die dem Gegner erwachsenden Kosten zu erstatten hat, soweit sie zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendig waren. Zu den gem. § 91 Abs. 1 S. 1 ZPO erstattungsfähigen und damit notwendigen Kosten gehören solche, die für Maßnahmen anfallen, die eine verständige und wirtschaftlich vernünftig denkende Partei als sachdienlich ansehen darf. Für die Beurteilung der Notwendigkeit ist dabei auf den Zeitpunkt der Veranlassung der die Kosten auslösenden Maßnahme abzustellen.
2. Privatgutachtenkosten prozessbezogen
Nach der ständigen Rechtsprechung des BGH müssen Privatgutachtenkosten unmittelbar prozessbezogen sein (BGH RVGreport 2017, 182 [Hansens] = AGS 2017, 536; BGH RVGreport 2013, 276 [ders.] = zfs 2013, 526 m. Anm. Hansens; BGH RVGreport 2018, 466 [ders.]; BGH RVGreport 2013, 236 [ders.] = zfs 2013, 346; BGH RVGreport 2012, 303 [ders.]; BGH BGHZ 192, 140 = RVGreport 2012, 229 [ders.] = zfs 2012, 285; BGH RVGreport 2008, 191 [ders.] = zfs 2008, 344 m. Anm. Hansens; BGH NJW 1990, 122). Folglich müssen die Privatgutachterkosten dem konkreten Rechtsstreit zuzuordnen sein (BGH RVGreport 2009, 195 [Hansens]; BGH RVGreport 2008,191 [ders.] = zfs 2018, 344 m. Anm. Hansens; BGH RVGreport 2013, 236 [ders.]). Diese Voraussetzungen sind in den folgenden Fallgestaltungen gegeben:
- Die Partei erteilt den Gutachtenauftrag, nachdem der Gegner Klage angedroht hat.
- Die Partei hat den Gutachtenauftrag vor Klagezustellung erteilt, das Privatgutachten ist aber erst nach Zustellung der Klage erstellt worden (so BGH BRAGOreport 2003, 96 [Hansens]).
- Das Privatgutachten wird im Hinblick auf den laufenden Rechtsstreit in Auftrag gegeben (BGH RVGreport 2012, 229 [Hansens]).
3. Notwendigkeit der Privatgutachtenkosten
Nach der ständigen Rechtsprechung des BGH (s. RVGreport 2012, 229 [Hansens] = zfs 2012, 285 m. Anm. Hansens; BGH RVGreport 2017, 182 [ders.] = AGS 2017, 536; BGH RVGreport 2018, 466 [ders.]) sind diejenigen Kosten notwendig i.S.v. § 91 Abs. 1 S. 1 ZPO, die für Maßnahmen anfallen, die eine verständige und wirtschaftlich vernünftig denkende Partei als notwendig ansehen darf. Für die Beurteilung der Notwendigkeit ist dabei auf den Zeitpunkt der Erteilung des Gutachtenauftrags abzustellen (s. BGH RVGreport 2003, 96 [Hansens] = AGS 2003, 178; BGH RVGreport 2006, 315 [ders.] = AGS 2006, 461; BGH RVGreport 2012, 229 [ders.] = zfs 2012, 285 m. Anm. Hansens; BGH RVGreport 2013, 236 [ders.] = zfs 2013, 346).
In Anwendung dieser Grundsätze können auch die Kosten für ein Privatgutachten erstattungsfähig sein, das im Rahmen eines selbstständigen Beweisverfahrens eingeholt worden ist (BGH RVGreport 2013, 276 [Hansens]). In Anwendung dieser Grundsätze sind Privatgutachtenkosten in den folgenden Fällen erstattungsfähig:
- Die Partei wäre ohne Einholung eines Privatgutachtens zu einem sachgerechten Vortrag nicht in der Lage gewesen (BGH RVGreport 2017, 182 [Hansens] = AGS 2017, 563). Dabei kommt es auch nicht zwingend auf die Darlegungs- und Beweislast der das Privatgutachten einholenden Partei an. Die Einholung des Privatgutachtens kann sogar vorprozessual erfolgen, wenn das Gutachten prozessbezogen ist (s. den Fall des BGH RVGreport 2018, 466 [Hansens], indem sich für die Beklagte bereits die Frage gestellt hatte, welche Tatsachen für eine substantiierte Klageerwiderung wesentlich sind).
- Das Privatgutachten wird eingeholt, um die Richtigkeit eines Gerichtssachverständigengutachtens zu erschüttern oder gar zu widerlegen (BGH RVGreport 2012, 229 [Hansens]).
- Eine dritte Fallgestaltung betrifft den Sonderfall des Kfz-Haftpflichtprozesses: Dort können die von der Kfz-Haftpflichtversicherung veranlassten Privatgutachtenkosten dann erstattungsfähig sein, wenn Anhaltspunkte für den Verdacht eines versuchten Versicherungsbetrugs vorgelegen haben (s. BGH RVGreport 2013, 236 [Hansens]). In einem solchen Fall gelten für die Erstattungsfähigkeit von Privatgutachtenkosten geringere Anforderungen als in den übrigen Fallgestaltungen.
4. Keine Vorlage des Gutachtens im Rechtsstreit erforderlich
a) Im Rechtsstreit selbst
Nach Auffassung des BGH (RVGreport 2013, 236 [Hansens]) ist die Vorlage des Privatgutachtens im Rechtsstreit nicht erforderlich. Dies folgert der BGH daraus, dass für die Beurteilung der Notwendigkeit auf den Zeitpunkt abzustellen ist, in dem die kostenauslösende Maßnahme veranlasst wurde (so bereits BGH BRAGOreport 2003, 96 [Hansens]; BGH RVGreport 2012, 229 [ders.]). Danach hängt die Erstattungsfähigkeit weder von dem Ergebnis der Begutachtung noch von deren Überzeugungskraft ab. Deshalb steht der Erstattungsfähigkeit von...