In seinem Urt. v. 3.3.2022 – IX ZR 78/20 (AGS 2022, 350 [Hansens] = zfs 2022, 581 m. Anm. ders.) hatte der BGH über die Frage zu entscheiden, ob die Zahlungen der Schuldnerin an eine Rechtsanwältin als kongruente Leistungen i.S.d. § 131 InsO anzusehen sind. Die Schuldnerin, eine Holding eines weltweit agierenden Photovoltaik-Konzerns, geriet im Jahre 2011 in eine finanzielle Krise. Deshalb entschloss sie sich, eine Sanierung zu versuchen und beauftragte die im Fall des BGH beklagte Rechtsanwältin. Die Schuldnerin erteilte der Anwältin am 31.8.2011 ein Mandat, sie umfassend wirtschaftsrechtlich zu beraten. Dabei sollte die Rechtsanwältin das Sanierungs- und Restrukturierungskonzept und die Sanierung zur Vermeidung einer Insolvenz betreuen. Spätestens im September 2011 zeichnete sich ab, dass die Schuldnerin nicht in der Lage sein würde, Verbindlichkeiten in Millionenhöhe zum Zeitpunkt ihrer Fälligkeit am 28.2.2012 begleichen zu können. Die Rechtsanwältin entwickelte ein Restrukturierungskonzept, das jedoch aus Rechtsgründen scheiterte.
Für ihre Beratungstätigkeiten erstellte die Rechtsanwältin der Schuldnerin vereinbarungsgemäß laufend Rechnungen im Abstand von ein bis zwei Wochen, welche die Schuldnerin jeweils zeitnah ausglich. Diese Rechnungen erfüllten nicht die in § 10 Abs. 2 RVG aufgeführten Anforderungen, was ebenfalls zuvor zwischen der Schuldnerin und der Rechtsanwältin vereinbart worden war. Vom 15.11.2011 bis 2.4.2012 erhielt die Rechtsanwältin von der Schuldnerin ein Anwaltshonorar i.H.v. 4.530.807,16 EUR. Nachdem die Schuldnerin am 3.4.2012 einen Insolvenzantrag gestellt hatte und das Insolvenzgericht das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Schuldnerin durch Beschl. v. 1.7.2012 eröffnet hatte, verlangte der Insolvenzverwalter von der Rechtsanwältin die Rückzahlung des Anwaltshonorars nebst Zinsen sowie Auskunft über die mit den Rechnungen abgerechneten Leistungen unter Angabe von Bearbeitungszeiträumen, einzelnen Bearbeitern und Tätigkeitsbeschreibungen.
Der BGH hatte die Frage zu entscheiden, ob die Zahlungen der Schuldnerin an die Rechtsanwältin als kongruente Leistungen i.S.d. § 131 InsO anzusehen sind. Dies hat der BGH verneint.
aa) Vergütung der Rechtsanwältin fällig
Zunächst hat der BGH festgestellt, dass die Forderungen der Rechtsanwältin an die Schuldnerin fällig gewesen seien. Dies bestimme sich grds. nach § 8 Abs. 1 RVG. Dabei kann der Anwalt mit seinem Auftraggeber auch von § 8 Abs. 1 RVG abweichende Fälligkeitsvereinbarungen treffen (BGH zfs 2014, 47 mit Anm. Hansens = AGS 2013, 573 = RVGreport 2014, 65 [ders.]). Eine solche von der gesetzlichen Regelung der Fälligkeitstatbestände abweichende Vereinbarung hatten hier die Schuldnerin und die Rechtsanwältin getroffen. Diese hatten nämlich vereinbart, dass die Anwältin ihre Leistungen gegenüber der Schuldnerin im Zwei-Wochen-Rhythmus abrechnen werde.
bb) Vergütung der Rechtsanwältin einforderbar
Sodann hat der BGH die Frage untersucht, ob die von dem Insolvenzverwalter geltend gemachte Inkongruenz der Zahlungen der Vergütung daraus folgt, dass die Rechtsanwältin der Schuldnerin keine den Anforderungen des § 10 RVG entsprechende Berechnung mitgeteilt hatte. Zwar sind nach der Rechtsprechung des BGH (BGHZ 167, 190) Zahlungen auf eine fällige Vergütungsforderung eines Rechtsanwalts i.S.d. Insolvenzrechts inkongruent, falls der Rechtsanwalt sie mangels einer dem Auftraggeber mitgeteilten Berechnung noch nicht einfordern konnte. Dem steht nicht entgegen, dass der Schuldner die Forderung des Rechtsanwalts gleichwohl erfüllen darf und damit auf die ihm aus § 10 Abs. 1 RVG zustehende Einrede verzichten kann.
Im Falle des BGH hatte die Rechtsanwältin der Schuldnerin von ihr unterzeichnete Vergütungsberechnungen mitgeteilt. Nach Auffassung des BGH war es unschädlich, dass diese Rechnungen keine näheren Angaben zu den erbrachten Leistungen, insb. auch nicht die von § 10 Abs. 2 RVG vorgeschriebenen Angaben, enthielten. Dies hat der BGH damit begründet, dass die Bestimmung über den Inhalt der Rechnungen nach § 10 Abs. 2 RVG dispositiv sei (NK-GK/N Schneider, 3. Aufl. 2021, § 10 Rn 24; Gerold/Schmidt/Burhoff, a.a.O., § 10 Rn 23). Somit können Rechtsanwalt und Mandant vereinbaren, dass der Rechtsanwalt sein Honorar auch ohne eine den Anforderungen des § 10 Abs. 2 RVG entsprechende Rechnungsstellung einfordern und durchsetzen kann. Im Falle des BGH hatten sich die Schuldnerin und die Rechtsanwältin bereits mit der ursprünglichen Mandatsvereinbarung dahin geeinigt, dass die Abrechnung der Leistungen der Beklagten in der tatsächlich dann auch vorgenommenen Art und Weise – Abrechnung im Zwei-Wochen-Rhythmus ohne Erfüllung der Anforderungen des § 10 Abs. 2 RVG – ausreichend sein sollte.