In der anwaltlichen Praxis wird der Berechnung der Hebegebühr oft nicht die nötige Aufmerksamkeit gewidmet. Die im Anwaltsbüro recht häufig vorkommende Einziehung und Auszahlung von Beträgen wird nicht durch die Verfahrens- oder Geschäftsgebühr abgegolten. Vielmehr handelt es sich bei dem Verwahrungsgeschäft um eine gebührenrechtlich eigene Angelegenheit, für die die Hebegebühr nach Nr. 1009 VV RVG vorgesehen ist. Diese deckt den zusätzlichen Verwahrungs- und Verwaltungsaufwand, aber auch das mit der Auszahlung verbundene Haftungsrisiko des Rechtsanwalts ab.
1. Anfall der Hebegebühr
a) Grundsatz
Für die Auszahlung von entgegengenommenen Geldbeträgen, auch für unbare Zahlungen (s. Abs. 1 und 2 der Anm. zu Nr. 1009 VV RVG), steht dem Rechtsanwalt die in Nr. 1009 VV RVG bestimmte Hebegebühr zu. Ist Geld in mehreren Beträgen gesondert bar ausgezahlt oder überwiesen worden, wird die Hebegebühr nach Abs. 3 der Anm. zu Nr. 1009 VV RVG von jedem Betrag gesondert erhoben. Für das Verwahrungsgeschäft wird dem Anwalt regelmäßig kein gesonderter ausdrücklicher Auftrag erteilt. Die Verpflichtung zur Auszahlung eingenommener Gelder ergibt sich nämlich aus § 43a Abs. 7 S. 2 BRAO. Ihm bleibt somit gar nichts anderes übrig, als nicht für ihn selbst bestimmte Beträge (an den Mandanten) auszuzahlen und damit die Hebegebühr auszulösen. Schuldner der Hebegebühr ist dann grds. der Auftraggeber, auch wenn er die Zahlung an seinen Rechtsanwalt weder selbst geleistet noch die Zahlung eines Dritten an seinen Rechtsanwalt veranlasst hat.
b) Ausnahmen
Nach Abs. 5 der Anm. zu Nr. 1008 VV RVG ist der Anfall der Hebegebühr in drei Ausnahmefällen ausgeschlossen:
aa) Weiterleitung von Kosten an ein Gericht oder eine Behörde
Der Rechtsanwalt leitet Kosten an ein Gericht oder eine Behörde weiter. Obwohl im Gesetz nicht ausdrücklich erwähnt, fällt hierunter auch die Weiterleitung an einen Gerichtsvollzieher (AnwKomm-RVG/N. Schneider, a.a.O., Nr. 1009 VV RVG Rn 34). Hauptanwendungsfall ist die Weiterüberweisung von Gerichts- oder Verwaltungsgebühren oder Auslagenvorschüssen an die Gerichts- oder Verwaltungskasse. Von wem der Rechtsanwalt die weitergeleiteten Beträge zur Verfügung gestellt bekommen hat, etwa vom Auftraggeber oder seiner Rechtsschutzversicherung, ist dabei unerheblich.
bb) Abführung eingezogener Kosten an den Auftraggeber
Der Rechtsanwalt führt eingezogene Kosten an den Auftraggeber ab. Das sind die mit der Erledigung des zugrunde liegenden Auftrags verbunden Kosten, wenn sie Nebenforderung sind (AnwKomm-RVG/N. Schneider, a.a.O., Nr. 1009 VV RVG Rn 37)
Beispiele:
Der Rechtsanwalt hat den Zahlungsrechtstreit für den Auftraggeber gewonnen und erhält von dem unterlegenen Gegner die Hauptforderung i.H.v. 10.000 EUR und die Kosten (Gerichts- und Anwaltskosten) i.H.v. 1.500 EUR überwiesen. Den Gesamtbetrag von 11.500 EUR überweist der Rechtsanwalt an seinen Mandanten weiter, die Gerichts- und Anwaltskosten deshalb, weil der Mandant schon entsprechende Vorschüsse geleistet hat.
Der Rechtsanwalt berechnet eine Hebegebühr nach einem Betrag von 10.000 EUR. Für die Auszahlung der weiteren 1.500 EUR ist der Anfall der Hebegebühr nach Abs. 5 der Anm. zu Nr. 1008 VV RVG ausgeschlossen.
- Der Prozessbevollmächtigte erwirkt für seinen Mandanten gegen den unterlegenen Gegner einen Kostenfestsetzungsbeschluss über 1.500 EUR und betreibt auftragsgemäß hieraus die Zwangsvollstreckung. Der beauftragte Gerichtsvollzieher vollstreckt die festgesetzten Kosten i.H.v.1.500 EUR, 7,50 EUR mittitulierte Zinsen und 100 EUR Vollstreckungskosten gem. § 788 ZPO, die er mit beigetrieben hat. Den Gesamtbetrag überweist der Rechtsanwalt seinen Mandanten weiter. Der Anfall der Hebegebühr ist nach Abs. 5 der Anm. zu Nr. 1009 VV RVG nur hinsichtlich der Zwangsvollstreckungskosten ausgeschlossen. Bei den festgesetzten Kosten einschließlich der titulierten Zinsen handelt es sich i.R.d. Zwangsvollstreckungsauftrags um die Hauptsache (AnwKomm-RVG/N. Schneider, a.a.O., Nr. 1008 VV RVG Rn 38). Die Hebegebühr berechnet sich somit nach einem Betrag von 1.507,50 EUR.
cc) Verrechnung eingezogener Beträge auf die Vergütung
Dem Rechtsanwalt fällt nach Abs. 5 der Anm. zu Nr. 1009 VV RVG auch dann keine Hebegebühr an, wenn er eingezogene Beträge auf seine Vergütung verrechnet.
Beispiel:
Der Rechtsanwalt hat den Zahlungsrechtstreit für den Auftraggeber gewonnen und erhält von dem unterlegenen Gegner die Hauptforderung i.H.v. 10.000 EUR und die Kosten (Gerichts- und Anwaltskosten) i.H.v. 1.500 EUR überwiesen. Der Anwalt, der für seinen Auftraggeber die Gerichtskosten aus eigenen Mitteln verauslagt hat und wegen seiner eigenen Gebühren und Auslagen auch keinen Vorschuss erhalten hat, verrechnet einen Teil des Gesamtbetrags von 11.500 EUR i.H.v. 1.500 EUR auf seinen fälligen Vergütungsanspruch, sodass die Hebegebühr nur nach einem Betrag von 10.000 EUR anfällt. Für diese Verwahrungsgeschäft kann der Rechtsanwalt somit abrechnen:
Hebegebühr, Nr. 1009 VV RVG (10.000 EUR) |
62,50 EUR |
Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV RVG |
12,50 EUR |
19 % Umsatzsteuer, Nr. 7008 VV RVG |
14,25 EUR |
Summe |
89,25 EUR |
Verrechnet der Rechtsanwalt auch diesen Betrag mit dem vom Gegner überwiesenen Betrag und zahlt er deshalb nur (10.000 EUR – 89...