Die deutsche Wirtschaft beklagt branchenübergreifend den massiven Fachkräftemangel – da bilden Anwaltskanzleien leider keine Ausnahme. Fakt ist auch: Um eine Anwaltskanzlei wirtschaftlich zu betreiben, benötigt es des konsequenten Einsatzes von Digitalisierung und hoch qualifiziertem Fachpersonal. Doch wo findet man dieses Fachpersonal in Zeiten, in denen immer weniger junge Menschen dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen und sich von dieser immer geringer werdenden Zahl immer weniger für eine duale Ausbildung – und noch schlimmer: immer weniger für den Beruf der/des Rechtsanwaltsfachangestellten – entscheiden?
Doch damit nicht genug: Neben dem Problem des Fachkräftemangels haben viele Kanzleien mit einem Strukturwandel umzugehen. War es früher ein Privileg Partner zu werden, überlegen sich viele Junganwältinnen und Junganwälte heute mehr als einmal, ob sie Verantwortung für ihre Kanzlei übernehmen oder nicht lieber den vermeintlich sichereren – wenn auch nicht immer lukrativeren – Weg einer Berufsausübung als Angestellte gehen wollen. Das bringt die althergebrachten Kanzleistrukturen oftmals ebenfalls sehr ins Wanken.
Doch zurück zum Fachkräftemangel: Die junge Generation von Fachangestellten hat nämlich auch ihre ganz eigenen Vorstellungen von der Arbeitswelt, insb. in Kombination mit ihren Ideen für das Privatleben und einer persönlichen Weiterentwicklung auf allen Ebenen. Auch damit muss eine Kanzlei umgehen (lernen) und sich v.a. darauf einlassen. Denn eines ist sicher: Ändern wird die Kanzlei diesen Wandel im Personalbereich nicht, weshalb sie sich damit auseinandersetzen und Lösungsstrategien entwickeln muss. Je eher, umso wirtschaftlicher und umso stressfreier für alle Kanzleimitglieder und zum Wohle der Kanzlei.
Eine Strategie bzw. ein Baustein zur Bewältigung des Fachkräftemangels wird sicher eine moderne und durchlässige Weiterbildungsperspektive auf Fachangestelltenebene sein. Im Augenblick gibt es nach dem erfolgreichen Abschluss der Ausbildung nur die Weiterbildungsmöglichkeit zum/zur Geprüften Rechtsfachwirt/in. Die entsprechende Verordnung ist im Jahre 2001 in Kraft getreten und daher schon etwas in die Jahre gekommen. Und hier besteht in meinen Augen die konkrete Möglichkeit zum Handeln. Mit Wirkung zum 1.1.2020 wurde das Berufsbildungsgesetz geändert und mit dem neuen § 53a BBiG einheitliche Fortbildungsstufen bzw. -bezeichnungen festgelegt. Jede Berufsgruppe ist nun selbst dafür verantwortlich, diese Fortbildungsstufen mit Leben zu füllen und Inhalte für eine entsprechende Fortbildungsverordnung zu verfassen.
Dazu konkret: § 53a BBiG bietet verschiedene Fortbildungsstufen an. Zunächst den Geprüften Berufsspezialisten als niedrigschwellige Fortbildungsmöglichkeit, die junge Fachangestellte ggf. direkt nach der Ausbildung in Angriff nehmen könnten, um sich auf verschiedenen Fachgebieten vertieft Grundkenntnisse anzueignen. Daneben gibt es mit dem Bachelor Professional als zweiter und dem Master Professional als dritter Fortbildungsstufe zwei hochwertige Fortbildungsmöglichkeiten, die als Empfängerkreis auf die Fachangestellten abzielen, die sich neben einem noch vertiefteren Fachwissen in einer Führungsrolle sehen, in den Kanzleien also die mittlere Führungsebene darstellen könnten und denen in ihrem Gebiet auch unternehmerische Aufgaben zufallen, wie z.B. der Bereich Controlling.
Und genau hier besteht die Chance, dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken, also das Berufsbild im Bereich der Weiterbildung aufzuwerten, auf moderne Füße zu stellen und durchlässige, aufeinander aufbauende Fortbildungsmöglichkeiten zu schaffen, um junge Menschen für den Beruf des/der Rechtsanwaltsfachangestellten mit guter Perspektive und Zukunft zu begeistern. Denn gestritten und verhandelt wird auch in Zukunft immer weiter – wenn auch vielleicht anders als früher. Und die vorsorgende Rechtspflege wird auch weiterhin sehr gefragt sein, um unser Rechtssystem aufrecht zu erhalten. Dies wird nur mit qualifizierten Fachangestellten möglich sein.
Fazit: Der Fachkräftemangel wird – wenn man den Vorhersagen Glauben schenkt – wohl noch weiter zunehmen. Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte sind gerade mit Blick auf die immer weiter voranschreitende Digitalisierung dagegen auf hoch qualifizierte Fachangestellte angewiesen, um ihre Kanzleien – auch wirtschaftlich – erfolgreich zu betreiben. Die Corona-Pandemie macht das alles nicht leichter; trotzdem ist Stillstand nicht zielführend und so ist es in meinen Augen höchste Zeit zum Handeln: Als Arbeitnehmervertretung rufen wir den Vertretern der Arbeitgeber zu, dass wir frei nach dem Motto "Gemeinsam mehr erreichen" hierzu bereit sind. Insoweit blicken wir erwartungsvoll auf eine Antwort der Arbeitgeberseite und auf baldige konstruktive Gespräche zum Wohle unseres beruflichen Nachwuchses und zum Wohle der Anwaltschaft.
Ronja Tietje, Vorstandsmitglied des RENO Bundesverbandes
ZAP F., S. 209–210