Bis zum 31.12.2022 galt der vom BGH entwickelte Grundsatz, dass die Befugnis zum Vollmachtswiderruf als Aufgabenkreis zugewiesen worden sein muss (BGH, Beschl. v. 8.1.2020 – XII ZB 368/19; BGH, Beschl. v. 8.7.2020 – XII ZB 68/20, ZAP EN-Nr. 434/2020; BGH, Beschl. v. 5.6.2019 – XII ZB 58/19, Rn 22; BGH Beschl. v. 13.5.2020 – XII ZB 61/20). Ab dem 1.1.2023 darf der Betreuer im Rahmen seiner Aufgabenkreise die Vollmacht ohne besondere Zuweisung widerrufen gem. § 1820 Abs. 5 BGB (vgl. zudem Müller-Engels, FamRZ 2021, 645; dies., DNotZ 2021, 84; Kurze, FamRZ 2021, 1934; Kieß, BtR 2022, 45). Die erforderlichen Voraussetzungen ähneln denen, die bislang vom BGH entwickelt wurden. Allerdings benötigt der Betreuer in Zukunft für den Widerruf die gerichtliche Genehmigung (§ 1820 Abs. 5 BGB).

Der Widerruf einer (Vorsorge-)Vollmacht durch einen Betreuer ist im Ergebnis ein staatlicher Eingriff in einen Ausdruck der Selbstbestimmung durch den Vollmachtgeber. Jedenfalls bei einem inzwischen geschäftsunfähigen Vollmachtgeber ist er nicht reparabel, denn er kann keine neue Vollmacht errichten und auch ein Dritter (z.B. Betreuer) kann es für ihn nicht. In häufig relevanten Fällen wurden die zu widerrufenden Vollmachten nicht immer im Zustand der freien Willensbestimmung erteilt (Zustand der „Beeinflussbarkeit”, bei welcher die Geschäftsunfähigkeit nicht bewiesen werden kann). Daher kann nach hier vertretener Ansicht bei einem Widerruf nicht generell von einem Eingriff in das Selbstbestimmungsrecht schlechthin gesprochen werden. Wesentlich ist die Zielrichtung, die gegeben sein muss: Die Maßnahme muss das Ziel haben, das Selbstbestimmungsrecht des Vollmachtgebers zu erhalten oder wiederherzustellen. Durch den Widerruf der Vollmacht wird also eine Fremdbestimmung beendet oder zumindest eine Möglichkeit zur ihr beseitigt, welche nicht (mehr) dem tatsächlichen oder anzunehmenden Willen des betroffenen Vollmachtgebers entspricht.

Betroffen von dem Genehmigungsbedürfnis sollen nur bestimmte Vollmachten sein, nämlich solche, die den Bevollmächtigten zu Maßnahmen der Personensorge oder zu Maßnahmen in wesentlichen Bereichen der Vermögenssorge ermächtigen. Es sind also zunächst klassische Vorsorgevollmachten erfasst. Nach dem Gesetzestext sind aber alle Vollmachten im Gesundheitsbereich gemeint. Das könnte also z.B. eine Vollmacht allein zur Umsetzung einer Patientenverfügung sein oder im psychiatrischen Bereich eine für den Fall eines Schizophrenieschubs. Im Vermögensbereich sind es mit Sicherheit Generalvollmachten. „Wesentliche Bereiche” der Vermögenssorge könnten generelle Befugnisse sein, ggf. mit Ausnahme einzelner Bereiche, wie z.B. Unternehmensbeteiligungen oder Immobilienverfügungen.

Für andere Vollmachten, insb. Post- oder Kontovollmachten, soll das Genehmigungserfordernis ausdrücklich nicht gelten. Jedenfalls bei Letzterem erscheint das nicht allgemein sinnvoll. Auf Bankkonten befindet sich regelmäßig wesentliches Vermögen des Betroffenen. So kann er durch Kontoverfügungen arm werden. Denkbar könnte es sein, wiederum Bankvollmachten, die sich auf Depot- und Wertpapiergeschäfte beziehen, bei entsprechendem Umfang des Vermögens dort doch unter § 1820 Abs. 5 BGB n.F. fallen zu lassen.

Schon vor der Reform des Vormundschafts- und Betreuungsrechts zum 1.1.2023 war nach der Rechtsprechung des BGH der Vollmachtswiderruf nur zur Abwendung einer Gefährdungslage für den Vollmachtgeber zulässig, wenn also „das Festhalten an der erteilten Vorsorgevollmacht eine künftige Verletzung des Wohls des Betroffenen mit hinreichender Wahrscheinlichkeit und in erheblicher Schwere befürchten lässt” (BGH, Beschl. v. 28.7.2015 – XII ZB 674/14, DNotZ 2015, 848, 853; entsprechend: BGH, Beschl. v. 6.7.2016 – XII ZB 131/16, NJW-RR 2016, 1093, Rn 26; BGH, Beschl. v. 15.2.2017 – XII ZB 510/16, NJW-RR 2017, 642, Rn 21). An diesen Anforderungen hat sich der Gesetzgeber bei der Reform orientiert.

Vor einem Widerruf sind mildere Mittel zu prüfen und ggf. anzuwenden, wie z.B. die Ausübung von Auskunfts-, Rechenschafts- und Weisungsrechten durch einen Kontrollbetreuer. Sinn der Kontrollbetreuung ist zum einen die weitere Ermittlung einer etwaigen Ungeeignetheit und zum anderen das Einwirken auf den und das Unterstützen des Bevollmächtigten, damit dieser seine Aufgabe weiter und ordnungsgemäß ausübt.

Grundsätzlich kann also auf die für eine Kontrollbetreuung erforderliche Gefahrensituation verwiesen werden. Hinzutreten muss aber der Umstand, dass eine Kontrolle des Bevollmächtigten nicht ausreichend ist. Die Kontrolle durch einen Kontrollbetreuer ist primär reaktiv. Der Bevollmächtigte kann mit der Vorsorgevollmacht aber jedenfalls im Außenverhältnis auch entgegen den Weisungen (§ 665 BGB) des Kontrollbetreuers handeln. Ein Schaden ist dann eingetreten. Dieser Schaden muss, damit ein Widerruf der Vollmacht gerechtfertigt ist, in „erheblicher Schwere” zu befürchten sein, also nicht nur Marginalien betreffen.

Der Schadenseintritt muss auch mit „hinreichender Wahrscheinli...

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