Zusammenfassung
Im Vierten Buch des Bürgerlichen Gesetzbuches (Familienrecht) wurde der gesamte 3. Abschnitt „Vormundschaft, rechtliche Betreuung, Pflegschaft” erneuert. Hinzu treten Änderungen in einer Vielzahl von weiteren Gesetzen und einzelnen Normen des BGB an anderen Stellen. Dadurch hat die Reform nicht nur Auswirkungen auf das Vormundschafts- und Betreuungsrecht direkt, sondern auch in anderen Bereichen. Zudem gibt es in den allermeisten Rechtsgebieten immer wieder Berührungspunkte mit unter Betreuung stehenden Person oder Minderjährigen, wofür die Änderung ebenfalls relevant sind. Der Beitrag ist eine kompakte Darstellung der Änderungen, um die Reform grds. zu verstehen und die wesentlichen Änderungen zu kennen (ausführlich: Kurze, Die Reform des Vormundschafts- und Betreuungsrechts, zerb verlag, 1. Aufl. 2022 [im Folgenden: Kurze, Reform]; Literaturübersicht: BtPrax 2022, 209 f.). Teil 1 des nachfolgenden Beitrags gibt einen Überblick über die wesentlichen Neuerungen im Vormundschafts- und Betreuungsrecht, behandelt das Ehegattenvertretungsrecht sowie die Themen Vorsorgevollmacht, Patientenverfügung, Kontrollbetreuung, Suspendierung und den Vollmachtswiderruf. Teil 2 (demnächst in ZAP 2023) wird über die Themen Betreuungsverfügung, der Betreute im Prozess, Betreuungserrichtung und Betreuer sowie Führung der Betreuung, Betreuungsende, Vormundschaft und Pflegschaft berichten, schließlich werden auch erbrechtliche Bezüge und das Schenkungsverbot erläutert.
I. Überblick
In der folgenden Übersicht finden Sie wesentliche, wenngleich nicht alle, Änderungen zusammengefasst:
1. Betreuung
- Professionalisierung der Berufsbetreuung mit Registrierung etc.
- Neue und umfassende Aufgaben für Betreuungsvereine und -behörden
- Änderung der Schenkungsbefugnis für Betreuer
- Zusammenfassung erbrechtlicher Genehmigungstatbestände
- Erb- und Schenkungsbeschränkung für Berufsbetreuer
- Noch strengerer Erforderlichkeitsgrundsatz
- Kein Gegenbetreuer mehr
- Aufgabenbereiche Umgang und Aufenthaltsbestimmung im Ausland neu geregelt
- Genehmigungstatbestände und -verfahren neu geordnet und teilweise neu geregelt
- Befreiungsmöglichkeiten und -regelungen neu geregelt
- Innen-Genehmigung entfällt
- Auskunftspflicht des Betreuers gegenüber nahestehenden Personen
- Vermögensbericht zu Betreuungsbeginn
- Regelungen zur Notgeschäftsführung und Herausgabe von Unterlagen und Vermögen am Betreuungsende
2. Vormund- und Pflegschaften
- Stärkung der Pflegeperson
- Stärkung des Vorrangs des ehrenamtlichen Vormunds
- Vorläufiger Vormund
- Zusätzlicher Pfleger
- Neuordnung und Neuformulierung der Pflegschaften
3. Vorsorgeregelung
- Änderung der Paragrafenbezeichnungen von §§ 1904, 1906, 1906a zu 1829, 1831, 1832 BGB für die genehmigungsbedürftige Zustimmung zu besonders gefährlichen ärztlichen Maßnahmen, der Freiheitsentziehung und Unterbringung sowie der ärztlichen Zwangsmaßnahme und Verbringung
- Keine inhaltlichen Änderungen bei der Patientenverfügung
- Patientenverfügungen können im ZVR registriert werden
- Einsichtsmöglichkeit für Ärzte in das ZVR
- Beglaubigung durch die Betreuungsbehörde ab 1.1.2023 zum Teil entwertet
- Bedeutung der Betreuungsverfügung gestiegen
- Neuregelung Vollmachtswiderruf
- Vollmachtssuspendierung möglich
- Detaillierte Regelung der Kontrollbetreuung
4. Weitere Änderungen
- Neues Ehegattenvertretungsrecht
- Stellung des Betreuten im Prozess
II. Ziele, Gesetzgebungsgeschichte und Übergangsregelung
Ein wesentlicher Ausgangspunkt für die Reform war die UN-Behindertenrechtskonvention vom 13.12.2006. In ihr wurde Deutschland für sein Betreuungsrecht kritisiert, welches immer noch zu paternalistisch sei. Trotz der Umstellung zum Betreuungsrecht am 1.1.1992 stünden die betroffenen Personen immer noch zu wenig im Mittelpunkt, es werde zu viel über sie bestimmt. Die zweite Triebfeder für die Reform war die Besorgnis insb. der Länder, dass die Betreuungskosten weiter steigen würden und das von einem hohen Niveau ausgehend. Für die Kassen der Länder bedeuten Betreuungen eine Belastung, allein schon durch die diesbezüglichen Gerichtsverfahren und die Befassung der Betreuungsbehörden und -vereine mit ihnen. Außerdem müssen viele Berufsbetreuer im Ergebnis vom Staat bezahlt werden, da die Betroffenen dies nicht selbst leisten können. Schließlich gab es immer wieder Beschwerden gegen die Arbeit von Berufsbetreuern hinsichtlich deren Qualität und Redlichkeit, denen ebenfalls nachgegangen werden soll.
Es wurden zwei Forschungsprojekte initiiert, eines zur Qualität der rechtlichen Betreuung und ein zweites zur Möglichkeit der Betreuungsvermeidung. Beim Bundesjustizministerium wurden zudem vier Arbeitsgruppen gebildet, die sich unter verschiedenen Blickwinkeln den tatsächlichen Problemen im Vormundschafts- und Betreuungsrecht annahmen. Sie waren weitgehend mit Praktikern besetzt, vielfach durch im Betreuungsbetreuungswesen Tätige sowie Juristen, auch als Vertreter der Länder. Mit durch Betreuungen betroffene Personen führte das Justizministerium einen Workshop durch, um deren Sicht wahrzunehmen.
Die Arbeiten mündeten in einen Gesetzesentwurf (BT-Drucks 19/24445), zu dem zahlreiche – im Internet abrufbare – Stellungnahmen abgegeben wurden. Mit allerdings nur wen...