I. Einführung

Die psychosoziale Prozessbegleitung ist eine besondere Form der Betreuung sog. Opferzeugen. Sie war bis Ende 2016 in der StPO lediglich in § 406h Abs. 1 Nr. 5 StPO a.F. erwähnt. Hiernach war der Verletzte auf die Möglichkeit einer psychosozialen Prozessbegleitung hinzuweisen. Mit dem Inkrafttreten des zweiten Teils des 3. Opferrechtsreformgesetzes zum 1.1.2017 hat sich dies grundlegend geändert: Der neu gefasste § 406g StPO verschafft jedem Verletzten einen Rechtsanspruch auf den Beistand eines psychosozialen Prozessbegleiters. Zeitgleich sind die Grundsätze der psychosozialen Prozessbegleitung, die Stellung des Prozessbegleiters und dessen Aufgaben sowie die für seine Tätigkeit zu erfüllenden Voraussetzungen im Gesetz über die psychosoziale Prozessbegleitung (PsychPbG) umfassend geregelt worden.

II. Zielrichtung

Die vom Bundesjustizminister als „Meilenstein“ gefeierten Vorschriften sind zuvorderst auf die Interessen des Verletzten ausgerichtet. Ziel ist es insbesondere, seine individuelle Belastung zu reduzieren und eine Sekundärviktimisierung zu vermeiden, § 2 Abs. 1 S. 2 PsychPbG. Zudem soll ein erheblicher Nutzen für die Justiz erzielt werden, da die Aussagetüchtigkeit der Zeugen durch ihre Stabilisierung bei psychosozialer Prozessbegleitung erheblich steige (BT-Drucks 18/4621, S. 30).

Der Beschuldigte/Angeklagte hingegen wird den „Meilenstein“ mit eher ungutem Gefühl betrachten. Es scheint sich das Kräfteverhältnis im Verfahren zu verschieben, wenn sich der (mutmaßlich!) Geschädigte – unter den Voraussetzungen des § 406g Abs. 3 StPO sogar kostenfrei – zusätzlicher Unterstützung bedienen kann, während sich der Angeklagte mit dem von ihm in aller Regel als Gegenspieler empfundenen Staatsanwalt, dem Nebenklägervertreter und dem psychosozialen Prozessbegleiter einer zahlenmäßigen Übermacht ausgesetzt sieht.

Zudem wird in der Praxis nicht zu Unrecht die Gefahr der unbewussten Einflussnahme auf das Aussageverhalten der begleiteten Opferzeugen gesehen (so z.B. der DAV in seiner Stellungnahme 51/2016 zum BWPsychPbGAG). Schlussendlich führen die Regelungen auch zu einer Erhöhung des Kostenrisikos für den Angeklagten.

III. Anspruch des Verletzten

§ 406g Abs. 1 StPO verschafft jedem Verletzten einen Anspruch auf Beistand durch einen psychosozialen Prozessbegleiter. Der Anspruch ist nicht auf Fälle besonders schwerwiegender Straftaten oder auf nebenklagefähige Delikte beschränkt und besteht über § 2 Abs. 2 JGG auch im Verfahren gegen Jugendliche. Eine Beiordnung durch das Gericht ist im Rahmen des § 406g Abs. 1 StPO allerdings nicht vorgesehen.

Wer Verletzter ist, hat der Gesetzgeber weder in der StPO noch im PsychPbG bestimmt. Es gibt im Strafverfahrensrecht keinen einheitlichen Verletztenbegriff, die Definition ist jeweils aus dem Funktionszusammenhang heraus zu bestimmen (KK-Zabeck, 7. Aufl. 2013, vor § 406d, Rn 3). Im Rahmen der §§ 406d ff. StPO ist der Begriff weit auszulegen, auch der mittelbar Geschädigte kann Verletzter sein (OLG Hamburg NStZ-RR 2012, 320). Eine solche weite Auslegung erscheint auch beim neuen § 406g StPO sachgerecht; schließlich können auch Zeugen, die durch die Tat „nur“ mittelbar beeinträchtigt sind, besonders schutzbedürftig sein (man denke an zivilrechtlich Anspruchsberechtigte aus den §§ 844, 845 BGB bei einem Tötungsdelikt, vgl. BVerfG, Beschl. v. 4.12.2008 – 2 BvR 1043/08).

 

Hinweis:

Für die Zuerkennung des Verletztenstatus i.S.d. § 406g StPO genügt es, wenn die betroffene Person durch die dem Beschuldigten/Angeklagten zur Last gelegten Straftat geschädigt sein könnte. Ob die im Raum stehende Straftat tatsächlich begangen wurde, ist nach wie vor ausschließlich in der Hauptverhandlung zu klären.

IV. Beiordnung

Mit dem neuen § 406g Abs. 3 StPO hat der Gesetzgeber die Möglichkeit geschaffen, dem Verletzten in bestimmten Fällen einen psychosozialen Prozessbegleiter durch das Gericht beizuordnen. In diesen Fällen ist die Tätigkeit des Begleiters für den Verletzten kostenfrei. Die Beiordnung, die für das gesamte Verfahren gilt, erfolgt stets nur auf Antrag. Zuständig ist der Vorsitzende; im Vorverfahren entscheidet das nach § 162 StPO zuständige Gericht (§ 406g Abs. 3 S. 4, 5 StPO). Eine Anhörung des Beschuldigten/Angeklagten ist nicht vorgeschrieben (a.A. Neuhaus StV 2017, 55), aber zweckmäßig.

 

Hinweis:

Eine Beschwerdebefugnis des Angeklagten gegen die Beiordnung besteht nicht (a.A. Neuhaus StV 2017, 55). Die Beiordnung des Prozessbegleiters, dem jede Einflussnahme auf den Verfahrensausgang gesetzlich ausdrücklich verboten ist, beschwert ihn nicht unmittelbar (vgl. auch OLG Hamm NJW 2006, 2057, für die Beiordnung eines Beistands gem. § 397a StPO).

Voraussetzung für die Beiordnung ist zunächst, dass das Verfahren eine der in § 397a StPO aufgeführten Taten betrifft und insoweit zumindest ein Anfangsverdacht besteht. Fehlt es bereits hieran, besteht für die Bestellung eines Begleiters kein Anlass. Zudem muss eine Zeugenvernehmung des Verletzten oder eine andere Ermittlungshandlung, die die Anwesenheit eines Begleiters erfordert, anberaumt oder zumindest zu erwar...

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