Wohnungsdurchsuchung zur Auffindung von Gaffervideos
Das AG Bonn hat die Rechtmäßigkeit eines Durchsuchungsbeschlusses bejaht, der in einem Ermittlungsverfahren im Zusammenhang mit der Veröffentlichung eines Gaffervideos im Internet nach einem schweren Verkehrsunfall ergangen war. Das LG hat die Rechtmäßigkeit des Beschlusses im Beschwerdeverfahren bestätigt.
Video zeigt dramatische Bergung eines Unfallopfers
Der Beschuldigte betrieb im Netz einen eigenen Kanal, auf dem er eine Anfang 2021 gefertigte, achtminütige Aufnahme eines schweren Verkehrsunfalls zeigte. In einer Sequenz von ca. 2 Minuten zeigte das Video die Bergung eines in dem verunfallten PKW eingeklemmten Schwerverletzten durch mehrere Einsatzkräfte der Polizei. Das Gesicht des Geschädigten hatte der Beschuldigte verpixelt. Die Schwester des Verletzten wünschte dennoch die Löschung des Videos, da die Identifizierung des Unfallopfers trotz der Verpixelung möglich war.
Beschuldigter verweigert Löschung des Videos
Der Beschuldigte kam dem Wunsch nach Entfernung des Videos unter Verweis auf die Pressefreiheit nicht nach. Das AG Bonn erließ darauf im März 2021 auf Antrag der StA eine Anordnung zur Durchsuchung der Wohnung des Beschuldigten mit dem Zweck der Auffindung von Mobiltelefonen mit Videofunktion, Kameras und Computern.
Die Zurschaustellung hilfloser Personen ist strafbar
Zur Begründung führte das AG aus, gegen den Beschuldigten bestehe der konkrete Verdacht einer Straftat gemäß § 201a Abs. 1 Nr.2, Nr. 4 StGB. Nach dieser Vorschrift wird mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder Geldstrafe u.a. bestraft, wer
- eine Bildaufnahme zur Schau stellt,
- die die Hilflosigkeit einer anderen Person zeigt und
- dadurch den höchstpersönlichen Lebensbereich der abgebildeten Person verletzt.
Begründeter Anfangsverdacht gegeben
Auf die Beschwerde des Beschuldigten bestätigte das LG Bonn im Beschwerdeverfahren die Durchsuchungsanordnung des AG. Der Durchsuchungsbeschluss sei gemäß §§ 102, 105 StPO gerechtfertigt. Die Zulässigkeit einer Durchsuchung erfordere einen über bloße Vermutungen hinausreichenden, auf tatsächliche Anhaltspunkte gestützten konkreten Verdacht einer Straftat. Dringender Tatverdacht sei nicht erforderlich. Nach den bisherigen Ermittlungen liege der konkrete Anfangsverdacht einer Verletzung des persönlichen Lebensbereichs und von Persönlichkeitsrechten durch Bildaufnahmen gegen den Beschwerdeführer gemäß § 201a StGB vor.
Hilflosigkeit des Opfers brutal zur Schau gestellt
Die Veröffentlichung des Videos im Kanal des Beschwerdeführers erfüllt nach der Bewertung des LG sämtliche Voraussetzungen der Strafbarkeit gemäß § 201a Abs. 1 Nr. 2 StGB. Auf dem gezeigten Video stehe die Hilflosigkeit des von den Rettungskräften geborgenen Opfers im Fokus einer zweiminütigen Sequenz. Trotz der Verpixelung sei das Gesicht des Geschädigten identifizierbar, zumindest durch seine Familienangehörigen und Bekannten. Das Opfer werde in dem Video für eine unbestimmte Zahl von Zuschauern in seiner erbarmungswürdigen Hilflosigkeit zur Schau gestellt. Dadurch werde der höchstpersönliche Lebensbereich der abgebildeten Person verletzt. Der Schutz dieses persönlichen Lebensbereiches sei der Zweck der Strafvorschrift des § 201a StGB.
Pressefreiheit privilegiert nur journalistische Berichterstattung
Entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers kann dieser sich nach der Entscheidung des LG nicht auf die Privilegierung des § 201a Abs. 4 StGB stützen, wonach u.a. im Fall berechtigter Presseberichterstattung eine Strafbarkeit nach § 201a Abs. 1 Nr. 2 StGB nicht in Betracht kommt. Der vom Beschwerdeführer betriebene Internetkanal werde den verfassungsrechtlichen Anforderungen an eine Tätigkeit als Pressevertreter nicht gerecht. Der Kanal weise keinerlei journalistisch redaktionelle Inhalte auf. Er zeige lediglich eine unbearbeitete Aneinanderreihung von Informationen ohne redaktionelle Aufbereitung und ohne jede journalistische Herangehensweise oder Vermittlungsleistung.
Die Durchsuchungsanordnung war auch verhältnismäßig
Besondere Aufmerksamkeit schenkte das LG der Frage der Verhältnismäßigkeit der Durchsuchungsanordnung. Jede Wohnungsdurchsuchung sei ein schwerwiegender Eingriff in die Persönlichkeitsrechte des Betroffenen. Deshalb müsse die Anordnung im Hinblick auf ihren Zweck erfolgversprechend und als Zwangsmaßnahme zur Ermittlung und Verfolgung der vorgeworfenen Tat erforderlich sein. Dies sei im konkreten Fall zu bejahen. Bei Erlass der Anordnung sei davon auszugehen gewesen, dass sich in der Wohnung des Beschwerdeführers Datenträger finden, die als Beweismittel in der zu erwartenden strafgerichtlichen Hauptverhandlung gegen den Beschuldigten wichtig werden könnten.
Durchsuchung ist nicht nur bei Verdacht eines Verbrechens zulässig
Die Verletzung des persönlichen Lebensbereichs und der Persönlichkeitsrechte durch Bildaufnahmen ist nach der Wertung des LG auch eine schwerwiegende Straftat, die bei begründetem Tatverdacht eine Durchsuchungsanordnung rechtfertigt. Daran ändere es nichts, dass die Verletzung des persönlichen Lebensbereichs kein Verbrechen, sondern rechtstechnisch lediglich als Vergehen einzuordnen ist. Die Durchsuchungsanordnung nach § 102 StPO sei unabhängig von der Einordnung einer Straftat als Vergehen oder als Verbrechen möglich. Die Interessen der Opfer an einem effektiven Schutz ihres persönlichen Lebensbereichs sowie das Strafverfolgungsinteresse des Staates überwiegen nach Einschätzung des LG die schutzbedürftigen Interessen des Beschwerdeführers im konkreten Fall bei weitem.
Beschwerde zurückgewiesen
Das LG bewertete die Durchsuchungsanordnung im Ergebnis daher als rechtmäßig und wies die Beschwerde gegen die Durchsuchungsanordnung zurück.
(LG Bonn, Beschluss v. 13.7.2021, 50 Qs-410 Js 78/21-18/21)
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