Wie vorstehend erörtert, kann der spätere Prozessbevollmächtigte, der auch einen Vertretungsauftrag hat, für vorprozessuale Zahlungsaufforderungen eine Geschäftsgebühr nach Nr. 2300 VV RVG abrechnen, wenn ihm zum Zeitpunkt der Fertigung des Aufforderungsschreibens ein unter der Bedingung des Scheiterns der vorgerichtlichen Bemühungen stehender Prozessauftrag erteilt worden ist. In diesem Fall löst die vorgerichtliche Zahlungsaufforderung die Geschäftsgebühr nach Nr. 2300 VV RVG aus. Tritt die Bedingung für den nur bedingt erteilten Prozessauftrag ein, so fällt dem Rechtsanwalt für das Betreiben des Geschäfts einschließlich der Information (s. Vorbem. 3 Abs. 2 VV RVG) die Verfahrensgebühr an. Diese entsteht mit dem vollen Gebührensatz von 1,3, wenn der Rechtsanwalt die Klageschrift einreicht (siehe Nr. 3101 Nr. 1 VV RVG). Auf die hierdurch angefallene Verfahrensgebühr ist die für die vorprozessuale Zahlungsaufforderung entstandene Geschäftsgebühr nach Vorbem. 3 Abs. 4 S. 1 VV RVG zur Hälfte, höchstens jedoch mit einem Gebührensatz von 0,75 anzurechnen.
Schließen sich bei dieser Vertragsgestaltung der schriftlichen vorprozessualen Zahlungsaufforderung Besprechungen mit dem Ziel der Vermeidung des Verfahrens an, wird hierdurch nicht die Terminsgebühr für Besprechungen nach Vorbem. 3 Abs. 3 S. 3 Nr. 2 VV RVG ausgelöst. Diese setzte nämlich voraus, dass dem Rechtsanwalt zum Zeitpunkt der Besprechungen ein unbedingter Auftrag als Prozessbevollmächtigter erteilt worden ist (s. Vorbem. 3 Abs. 1 S. 1 VV RVG). Diese Voraussetzung ist hier nicht gegeben, da die Bedingung für den Prozessauftrag erst mit dem endgültigen Scheitern der vorprozessualen Bemühungen, zu denen die Besprechung gehört hat, eintritt.
Anders ist dies der Fall, wenn der Mandant dem Rechtsanwalt von vornherein einen unbedingten Prozessauftrag erteilt hat. Dann sind seine gesamten Tätigkeiten gem. Vorbem. 3 Abs. 1 S. 1 VV RVG nach Teil 3 VV RVG abzurechnen. Die außergerichtliche Zahlungsaufforderung wird dann, als gem. § 19 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 RVG zum Rechtszug gehörig, durch die Verfahrensgebühr mit abgegolten. Eine Geschäftsgebühr kann dem Rechtsanwalt bei dieser Vertragsgestaltung somit nicht anfallen. Dafür kann ihm für vorgerichtliche Besprechungen zur Vermeidung des Verfahrens die Terminsgebühr nach Nr. 3104 VV RVG entstehen (s. BGH, Urt. v. 1.7.2010 – IX ZR 198/09, AGS 2010, 383, RVGreport 2010, 385 [Hansens]). Dies wirkt sich gebührenrechtlich hingegen dann nicht aus, wenn die im Rahmen des Prozessmandats erfolgte Zahlungsaufforderung und Besprechung nicht zum Erfolg führt, der Rechtsanwalt Klage einreicht und an einem Verhandlungstermin teilnimmt. In diesem Fall entsteht ihm neben der 1,3 Verfahrensgebühr für die Wahrnehmung des Verhandlungstermins auch die 1,2âEUR™Terminsgebühr nach Nr. 3104 VV RVG zu (siehe Vorbem. 3 Abs. 3 S. 1 VV RVG). Die vorgerichtliche Besprechung zur Vermeidung des Verfahrens wirkt sich in diesem Fall letztlich nicht gebührenerhöhend aus, weil dem Rechtsanwalt für die spätere Wahrnehmung des Verhandlungstermins die Terminsgebühr ohnehin anfällt.
Die Erteilung eines unbedingten Prozessauftrags kann dann gebührenrechtliche Vorteile haben, wenn es letztlich nicht zur Klageerhebung kommt. Die außergerichtliche Zahlungsaufforderung ist dann durch die Verfahrensgebühr mit abgegolten, die mit einem Gebührensatz von 0,8 entstanden ist, weil der Rechtsanwalt keine der in Nr. 3101 VV RVG aufgeführten, die volle Verfahrensgebühr auslösenden, Tätigkeiten entfaltet hat. Führt der Prozessbevollmächtigte daneben noch eine Besprechung zur Vermeidung des Verfahrens, fällt ihm – wie vorstehend erörtert – ferner die 1,2 Terminsgebühr nach Nr. 3104 VV RVG an. Insgesamt sind dies in dieser Fallgestaltung (0,8 Verfahrensgebühr + 1,2âEUR™Terminsgebühr) 2,0 Gebühren. Hier führen somit die Tätigkeiten des Rechtsanwalts zu einem höheren Vergütungsanspruch als im Rahmen eines bedingten Prozessmandats und auch im Rahmen eines Vertretungsauftrags.
Das Problem ist, dass der Rechtsanwalt bei Erteilung des Auftrags nicht vorhersehen kann, wie sichâEUR™das Mandat in der Folgezeit entwickelt, insb., ob es zu Besprechungen zur Vermeidung des Verfahrens kommt. Deshalb kann er seinem Mandanten auch nicht mit Gewissheit vorhersagen, welche Vertragsgestaltung für ihn günstiger ist.