Die Vorhersehbarkeit einer Gefahr (vgl. BGH, Urt. v. 14.3.2006 – X ZR 46/04, NJW-RR 2006, 965 f.) und Vermeidbarkeit des Erfolgs sind Voraussetzung des Fahrlässigkeitsvorwurfs (vgl. Palandt/Grüneberg, 75. Aufl., § 276 Rn 20 f.).
- Einfache Fahrlässigkeit: Sie liegt vor, wenn die relevanten Tatumstände lediglich objektiv erkennbar waren und der Handelnde sie hätte kennen können oder kennen müssen.
- Grobe Fahrlässigkeit: Grob fahrlässig handelt, wer die im Verkehr erforderliche Sorgfalt nach den gesamten Umständen in ungewöhnlich hohem Maße verletzt und unbeachtet lässt, was im gegebenen Fall jedem hätte einleuchten müssen. Im Gegensatz zum rein objektiven Maßstab bei einfacher Fahrlässigkeit sind bei grober Fahrlässigkeit auch subjektive Umstände zu berücksichtigen. Es kommt also nicht nur darauf an, was von einem durchschnittlichen Anforderungen entsprechenden Angehörigen des jeweiligen Verkehrskreises in der jeweiligen Situation erwartet werden konnte, wozu auch gehört, ob die Gefahr erkennbar und der Erfolg vorhersehbar und vermeidbar war; abzustellen ist auch darauf, ob der Schädigende nach seinen individuellen Fähigkeiten die objektiv gebotene Sorgfalt erkennen und erbringen konnte (vgl. BAG, Urt. v. 18.4.2002 – 8 AZR 348/01, NZA 2003, 37 ff.). Es muss eine auch subjektiv schlechthin unentschuldbare Pflichtverletzung vorliegen, die das in § 276 Abs. 2 BGB bestimmte Maß erheblich überschreitet (vgl. BGH, Urt. v. 18.2.2014 – VI ZR 51/13, zfs 2014, 441 ff.).
Hinweis:
Sofern keine unvorhergesehenen Naturkatastrophen oder Fälle höherer Gewalt eintreten, wird nahezu jede Gefahr bei genügend großer Phantasie vorhersehbar sein. Das bedeutet, dass ein allgemeines Verbot, andere nicht zu gefährden, unrealistisch wäre oder eine Verkehrssicherung, die jede Schädigung ausschließt, im praktischen Leben nicht erreichbar ist, so dass eine Gefahr deshalb erst dann haftungsbegründend wird, wenn sich für ein sachkundiges Urteil die "naheliegende Möglichkeit" ergibt, dass Rechtsgüter anderer verletzt werden können (vgl. BGH, Urt. v. 31.10.2006 – VI ZR 223/05, NJW 2007, 762 f.).
Im Zivilrecht herrscht ein objektiv-abstrakter Fahrlässigkeitsbegriff, d.h. ein Abgleich, ob das fragliche Handeln als solches missbilligenswert und intolerabel, also sorgfalts- oder verkehrswidrig einzustufen ist oder nicht (vgl. Barnert, a.a.O., S. 117 f.). Damit ist eine Berufung auf individuell mangelnde Kenntnisse und fehlende Erfahrungen ausgeschlossen (vgl. BGH, Urt. v. 27.3.2003 – IX ZR 399/99, NJW 2003, 2022, 2024), z.B. auf mangelnde Verstandeskraft, Geschicklichkeit, Ausbildung, Fachwissen, altersbedingte Einschränkungen oder Überbeanspruchungen (vgl. Palandt/Grüneberg, a.a.O., § 276 Rn 15 m.w.N.). Umgekehrt werden die Sorgfaltsanforderungen aber bei besonderen Kenntnissen und Fähigkeiten des Schuldners erhöht (vgl. Palandt/Grüneberg, a.a.O., § 276 Rn 15 m.w.N.).
Der Grund hierfür ist der Vertrauensschutz, denn im Rechtsverkehr muss sich jeder grundsätzlich darauf verlassen dürfen, dass der andere die für die Erfüllung seiner Pflichten erforderlichen Fähigkeiten und Kenntnisse besitzt (vgl. Palandt/Grüneberg, a.a.O., § 276 Rn 15 m.w.N.).
Zitat
"Gefordert wird mithin die Beachtung der Sorgfalt, die der gesunde normale Verkehr von einem ordentlichen Menschen in der konkreten Lage erwartet. Dabei ist grundsätzlich auf die Verhältnisse des in Betracht kommenden Verkehrskreises Rücksicht zu nehmen, mithin auf das Maß von Umsicht und Sorgfalt, das nach dem Urteil besonnener und gewissenhafter Angehöriger dieses Kreises von dem in seinem Rahmen Handelnden zu fordern ist." (BGH, Urt. v. 15.11.1971 – VIII ZR 62/70, NJW 1972, 150 f.)
Der Maßstab des "ordentlichen Menschen" oder die oben erwähnte "naheliegende Möglichkeit" eröffnet den Einzugsbereich des Dritten. Der "ordentliche Mensch in der konkreten Lage" kann wiederum alles sein, z.B. Kaufmann, Geschäftsmann, Facharzt, Assistenzarzt, Bauherr, Handwerksmeister, Berufsanfänger, Auszubildender, Hausfrau, etc. (vgl. Palandt/Grüneberg, a.a.O., § 276 Rn 17 m.w.N.).
Das Abstellen auf den ordentlichen Menschen in der konkreten Lage, z.B. einen Berufsanfänger, stellt zwar keinen Widerspruch zum objektiv-abstrakten Fahrlässigkeitsbegriff dar, da es auf das objektiv-abstrakte Verhalten in dieser (speziellen) Gruppe ankommt, wohl aber eine gewisse Einschränkung in subjektiver Hinsicht als es auf den Personenkreis der Beteiligten in der konkreten Lage (vgl. BGH, Urt. v. 16.3.1976 – VI ZR 62/75, NJW 1976, 1504 m.w.N.) ankommt (vgl. BGHZ 5, 318 ff.).
Auch bei Kindern und Jugendlichen kommt es nicht auf die Fähigkeiten des konkreten Jugendlichen an, sondern auf den allgemeinen Stand der Entwicklung dieser Altersgruppe, wobei auch gegenüber Kindern und Jugendlichen der Beweis des ersten Anscheins möglich ist (vgl. BGH, Urt. v. 10.3.1970 – VI ZR 182/68, NJW 1970, 1038 ff.). Der Dritte kann schlicht als "Der Tüchtige" bezeichnet werden (vgl. Hainmüller, a.a.O., S. 119). Fahrlässig handelt, wer nicht leistet, "was ein Tüchti...