Augenblicksversagen


Augenblicksversagen

Der von der Rechtsprechung entwickelte Begriff des Augenblicksversagens bietet Versicherungsnehmern die Chance, dass ihr Verhalten trotz objektiv schwerer Pflichtverletzung nicht als grob fahrlässig qualifiziert wird. Das Augenblicksversagen allein entkräftet den Vorwurf der groben Fahrlässigkeit jedoch nur dann, wenn weitere Umstände hinzutreten.

Grobe Fahr­läs­sig­keit setzt ein gestei­gertes per­so­nales Ver­schulden voraus. Kann der Ver­si­che­rungs­nehmer nach­weisen, dass er auf­grund sub­jek­tiver schuld­min­dernder Gründe nicht grob fahr­lässig gehan­delt hat, kann ihm bei Hinzutreten weiterer Umstände ein Augen­blicks­ver­sagen zuge­standen werden (BGH, Urteil v. 12.1.1988, VI ZR 158/87).

Das Augenblicksversagen beschreibt einen Umstand, bei dem der Handelnde für eine kurze Zeitspanne die im Verkehr erforderliche Sorgfalt außer Acht lässt und die konkreten Umstände es im Einzelfall gerechtfertigt erscheinen lassen, den Schuldvorwurf nicht als grob fahrlässig zu bewerten (BGH, Urteil v. 10.5.2011, VI ZR 196/10). In Betracht kommen u. a. Routinehandlungen, bei denen einer der sonst üblichen Handgriffe (Betätigung des Fahrtrichtungsanzeigers) beispielsweise infolge einer kurzen Ablenkung (plötzlich vor dem Kfz die Straße querender Fußgänger) vergessen wird.

Quo­ten­mo­dell hat keinen Ein­fluss auf Augen­blicks­ver­sagen

Für den Ver­si­che­rungs­schutz bzw. für den Scha­dens­fall bedeutet das, dass der Ver­si­cherer für den Schaden ein­stehen muss. Die Ein­füh­rung des Quo­ten­mo­dells hat an dieser Rechts­lage nichts geän­dert, da dieses sich auf Fälle der groben Fahr­läs­sig­keit beschränkt (vgl. Römer Lang­heid, Ver­si­che­rungs­ver­trags­ge­setz Kom­mentar, 3. Auflage, S. 559, Rz. 81). Da das Augen­blicks­ver­sagen eine Ver­schul­dens­stufe ist, die unter der groben Fahr­läs­sig­keit liegt, muss der Ver­si­cherer also in diesen Fällen zahlen und kann seine Leis­tung nicht kürzen.

Bei­spiele: Augen­blicks­ver­sagen ja oder nein?

Über­fährt ein Auto­fahrer eine rote Ampel, weil ihm unmit­telbar vor Errei­chen der Ampel ein Insekt ins Auge geflogen ist, kann es sich um ein ent­schuld­bares Augen­blicks­ver­sagen handeln (LG Köln, VersR 1990, 44). Man­gelte es bei einem Auto­fahrer aber offen­sicht­lich an der not­wen­digen Auf­merk­sam­keit, z. B. weil er trotz tief­ste­hender Sonne vor der Ampel nicht die Geschwin­dig­keit redu­ziert hat, liegt ein grob fahr­läs­siges Ver­halten vor. Die Ver­si­che­rung kann dann die Leis­tung kürzen (OLG Celle Urteil v. 13.12.2001, 14 U 162/01).