Das Urteil des Anwaltssenats bringt nicht die erhoffte Klarheit zur Zulässigkeit von Spezialistenbezeichnungen auf Rechtsgebieten, für die die FAO eine Fachanwaltschaft vorsieht. Seine Entscheidung über die Berufungszulassung (BGH, Beschl. v. 28.10.2015 – AnwZ (Brfg) 31/14, BeckRS 2015, 20551) hatte der Senat noch damit begründet, dass die angegriffene Entscheidung des AGH Hamm im Widerspruch zu der im Sommer 2014 ergangenen Entscheidung des I. Zivilsenats stehe (BGH NJW 2015, 704). Als klärungsbedürftig hatte der Anwaltssenat zudem die Frage qualifiziert, ob der Umstand, dass ein Anwalt noch weitere Fachanwaltsbezeichnungen führe, eine Bezeichnung als Spezialist ausschließe. Insoweit sei – unter Berücksichtigung der Vorgaben des BVerfG (NJW 2004, 2656, 2658) – zu prüfen, ob eine derartige Bezeichnung nicht zum Ausdruck bringe, dass der Anwalt "bevorzugt, wenn nicht gar ausschließlich, lediglich einen Teilbereich des Vollberufs bearbeitet". Eine solche "dauerhafte Einengung der Berufstätigkeit" könne aber möglicherweise nicht mit dem Begriff der Fachanwaltsbezeichnung ausgedrückt werden.
Zu diesen in der Tat wichtigen Fragen finden sich in der nun ergangenen Entscheidung des Anwaltssenats dann aber keine Antworten. Vielmehr ist der Senat ihnen – wohl vor allem deshalb, um eine Entscheidung des Großen Senats zu vermeiden – ausgewichen. Der Anwaltssenat hat dabei die wenig überzeugende These entwickelt, dass ein Fachanwalt, der sich zugleich Spezialist nennen wolle, erheblich größere Kenntnisse und praktische Erfahrungen aufweisen müsse als ein selbst ernannter Spezialist, der nicht seine Kenntnisse und Erfahrungen in einem förmlichen Kammerverfahren nachgewiesen hat (zust. aber Quaas BRAK-Mitt. 2017, 2, 9 f.). Der nun zu beurteilende Sachverhalt weise durch diese Doppelbezeichnung eine so gravierende Besonderheit auf, dass es einer näheren Auseinandersetzung mit der Entscheidung des I. Senats nicht bedürfe. Richtigerweise erscheint es aber paradox, gerade "echten" Fachanwälten den Zugang zur Spezialistenbezeichnung weitestmöglich zu erschweren; vor ihnen muss der Fachanwaltstitel (und die Rechtsuchenden) jedenfalls weniger geschützt werden als vor nicht geprüften Berufsträgern (vgl. Deckenbrock BerlAnwBl 2015, 124, 125; Remmertz NJW 2015, 707, 708; Saenger/Scheuch BRAK-Mitt. 2016, 157, 164). Zudem bleibt im Dunkeln, wie ein Fachanwalt, dem der BGH stets eine herausragende Qualität bescheinigt hat (BGHZ 197, 118 Rn 27 = NJW 2013, 1599; BGH NJW-RR 2014, 502 Rn 9), nachweisen können soll, dass seine Kenntnisse und Erfahrungen die eines Fachanwalts "nicht nur unerheblich übersteigen" (Offermann-Burckart BRAK-Mitt. 2017, 10, 12 f.).
Richtigerweise hätte es insoweit einer "ehrlichen" Auseinandersetzung mit der Entscheidung des I. Senats bedurft. In diesem Rahmen hätte insbesondere die Frage geklärt werden müssen, inwieweit sich Fachanwaltstitel und Spezialistenbezeichnung überhaupt vertragen, ob also die Kenntnisse und Erfahrungen eines Spezialisten immer deutlich über die eines Fachanwalts – und zwar unabhängig davon, ob der betroffene Anwalt tatsächlich Fachanwalt ist oder nicht – hinausgehen müssen. Zur Beantwortung dieser Frage ist zu klären, was Irreführung i.S.d. § 7 Abs. 2 BORA genau bedeutet und ob hieraus für Fachgebiete, für die bereits eine Fachanwaltschaft besteht, die Einhaltung eines Abstandsgebots (so – jedenfalls de lege ferenda – Saenger/Scheuch BRAK-Mitt. 2016, 157, 159 f.; a.A. Engelke AnwBl 2017, 276 ff.) oder sogar ein Verbot jeglicher Spezialistenbezeichnung (so etwa LG München I, Urt. v. 9.2.2010 – 33 O 427/09, BeckRS 2010, 04831; Huff, in: Gaier/Wolf/Göcken, Anwaltliches Berufsrecht, 2. Aufl. 2014, § 43b BORA/§ 7 BORA Rn 24; ders. WRP 2015, 343; ders. WRP 2017, 319, 320; Deckenbrock BerlAnwBl 2015, 124 und wohl Prütting, in: Henssler/Prütting, BRAO, 4. Aufl. 2014, § 7 BORA Rn 16) hergeleitet werden kann.
Vor diesem Hintergrund wirkt die vom Anwaltssenat gewählte Begründung, dass der Anwalt nicht nachgewiesen habe, dass sich seine theoretischen Kenntnisse und praktischen Erfahrungen auf alle Teilbereiche des entsprechenden Fachanwaltskatalogs erstrecken, doch arg gekünstelt (vgl. auch Scharmer NJW 2017, 671). Jedenfalls aber hat der Anwaltssenat die Anforderungen an eine Spezialistenbezeichnung sehr hoch gesetzt. Selbst wenn einem Anwalt der entsprechende Nachweis gelingt, bedeutet dies nicht, dass er diese Bezeichnung ohne Weiteres dauerhaft führen kann. Denn es soll eben nicht genügen, dass er sich jährlich im Umfang von 15 Stunden entsprechend § 15 FAO fortbildet, sondern er soll stets belegen müssen, dass er aktuell die Anforderungen für den Erwerb einer Fachanwaltsbezeichnung erfüllt. Auch insoweit scheint sich der Anwaltssenat heimlich von den Vorgaben des I. Senats abgesetzt zu haben. Zumindest lässt sich dieser früheren Entscheidung nicht entnehmen, dass aus der Forderung, die Fähigkeiten eines sich als Spezialist bezeichnenden Rechtsanwalts müssten den an einen Fachanwalt zu stellenden A...