Wenn die Voraussetzungen der Anordnung vorliegen, steht es im pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts, ob es die Anordnung trifft. Als Kriterien kann es den möglichen Erkenntniswert, die Verhältnismäßigkeit einer Anordnung sowie berechtigte Belange des Geheimnis- und Persönlichkeitsschutzes berücksichtigen (BT-Drucks 14/6036, S. 120; BGH, Urt. v. 26.6.2007 – XI ZR 277/05, juris Rn 20), außerdem bei Vorlage durch einen Dritten dessen fehlende Beteiligung am Prozess (Zöller/Greger, a.a.O., § 142 Rn 11).
Das Gericht soll abwägen, inwieweit die Vorlegung zur Aufklärung des Sachverhalts geeignet und erforderlich, weiter verhältnismäßig und angemessen, d.h. dem zur Vorlage Verpflichteten bei Berücksichtigung seiner rechtlich geschützten Interessen nach Abwägung der kollidierenden Interessen zumutbar ist. Solche die Zumutbarkeit begrenzende geschützte Interessen können sich etwa aus Art. 12 Abs. 1 GG oder anderen verfassungsrechtlichen Vorgaben ergeben (BGH, Urt. v. 1.8.2006 – X ZR 114/03, juris Rn 42).
Die Anordnung muss dem legitimen Zweck dienen, einen für die Entscheidung des Rechtsstreits erheblichen Punkt zu klären. Sie ist geeignet, wenn konkrete Anhaltspunkte dafür sprechen, dass durch die Vorlegung der Urkunde oder Unterlage die Klärung erreicht oder zumindest gefördert wird. Sie ist erforderlich, wenn dem Gericht kein anderes Mittel zur Verfügung steht, das in gleicher oder besserer Weise geeignet ist, die Klärung zu erreichen, aber die Parteien und ggf. den Dritten weniger belastet. Sie ist angemessen, wenn die Nachteile, die mit der Anordnung verbunden sind, nicht völlig außer Verhältnis zu dem Vorteil der Klärung stehen.
Bei seiner Ermessensausübung wird das Gericht zu bedenken haben, inwieweit gegen die Anordnung sprechende Gesichtspunkte durch entsprechende Ausgestaltung ausgeräumt werden können, etwa indem dem Vorlegenden gestattet wird, die vorzulegenden Unterlagen soweit unkenntlich zu machen, als rechtlich geschützte Interessen einer Vorlage entgegenstehen (BGH a.a.O.), oder indem es gem. § 172 GVG die Öffentlichkeit ausschließt und gem. § 174 Abs. 3 GVG die Beteiligten zur Geheimhaltung über den Inhalt der Verhandlung oder eines amtlichen Schriftstücks verpflichtet.
Hingegen verstieße ein in-camera-Verfahren, bei dem nur das Gericht Einsicht erhält, nicht jedoch der Gegner (Musielak/Voit-Stadler, a.a.O., § 142 Rn 7), gegen den Grundsatz der Parteiöffentlichkeit aus § 357 ZPO. Eine solche Vorgehensweise kann das Gericht nur mit Einverständnis beider Parteien wählen, § 284 S. 2 u. 3 ZPO.
Es wird vertreten, das Gericht könne in die Abwägung insbesondere bei der Vorlegung durch Dritte das allgemeine Risiko einbeziehen, dass Urkunden verloren gehen (Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, a.a.O., § 142 Rn 2). Dieses Risiko könnte dadurch ausgeschlossen werden, dass das Gericht dem Vorlegenden in Anwendung des Rechtsgedankens aus § 435 ZPO nachlässt, eine beglaubigte Abschrift einzureichen.
Praxishinweis:
Prozesstaktisch sollten die Parteien sorgfältig die für oder gegen die Vorlegungsanordnung sprechenden Aspekte des Einzelfalls herausarbeiten, um die Ermessensentscheidung des Gerichts in ihrem Sinne zu beeinflussen. Die beweispflichtige Partei sollte ihr Interesse an der Vorlegung der fraglichen Urkunde konkret verdeutlichen und darlegen, aufgrund welcher Umstände sie sich insoweit in einem Beweisnotstand befindet (Siegmann AnwBl 2008, 160, 161). Der Sachvortrag sollte durch Indizien so verdichtet werden, dass sich die fehlende Urkunde und die Weigerung des Gegners, sie vorzulegen, als Mosaikstein in das gewünschte Bild einfügen, d.h. es aus Sicht des Gerichts sehr wahrscheinlich erscheint, dass der Gegner die Urkunde des behaupteten Inhalts besitzt und nur zurückhält, um die Aufklärung zu verhindern.
Umgekehrt sollte der Gegner überzeugende und triftige Gründe darlegen, aus denen er ein berechtigtes Interesse ableitet, die Urkunde geheim zu halten. Das Gericht muss sich aufgrund der Sachverhaltsangaben, ohne dass das Geheimnis aufzudecken ist, ein Bild machen können, worum es geht. Die Angaben müssen so weit ins Einzelne gehen, z.B. durch eine anonymisierte Darstellung, dass dem Richter ein Urteil über den Weigerungsgrund möglich ist (BGH, Urt. v. 17.5.2018 – IX ZR 243/17, ZAP EN-Nr. 534/2018 = juris Rn 19).
Der BGH geht davon aus, dass das tatrichterliche Ermessen der revisionsgerichtlichen Kontrolle "weitgehend entzogen" sei, prüft jedoch im Revisionsverfahren anhand der Entscheidungsgründe, ob von dem Ermessen überhaupt Gebrauch gemacht wurde. Es ist ermessensfehlerhaft, wenn das Gericht trotz Vorliegens der Voraussetzungen die Anordnung gar nicht in Betracht zieht (BGH, Urt. v. 26.6.2007 – XI ZR 277/05, juris Rn 21).
Beispiel:
Beispielsweise kann die Anordnung angezeigt sein, wenn eine Partei "die Phantasie von Gericht und Gegner anregt" (Siegmann AnwBl 2008, 160, 162), indem sie eine Urkunde nur auszugsweise gem. § 131 Abs. 2 ZPO vorlegt oder wenn Anhaltspunkte bestehen, dass beide Parteien das Gericht in ei...