Gemäß § 1671 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 BGB ist dem Antrag eines Elternteils auf Übertragung der alleinigen elterlichen Sorge ohne Zustimmung des anderen Elternteils stattzugeben, wenn zu erwarten ist, dass die Aufhebung der gemeinsamen elterlichen Sorge und die Übertragung auf einen Elternteil dem Kindeswohl am besten entspricht.
Die gesetzliche Regelung des § 1671 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 BGB hat die gemeinsame elterliche Sorge nicht zum Regelfall oder zu einer gesetzlichen Vermutung erklärt und damit auch nicht die Übertragung des Sorgerechts auf einen einzelnen Elternteil zu einem Ausnahmetatbestand gemacht (BGH NJW 2000, 205 = FamRZ 99, 1646 m. Anm. Born FamRZ 2000, 396; OLG Saarbücken OLGReport Saarbrücken 2002, 230). Jedoch ist für eine gesunde gedeihliche Entwicklung des Kindes eine enge vertrauensvolle Beziehung zu beiden Elternteilen wichtig. Wünschenswert ist es daher, dass sich bei dem betroffenen Kind das Bewusstsein entwickeln kann, beide Elternteile seien über die Trennung hinaus an seiner geistig-seelischen Entwicklung gleichermaßen interessiert, würden Verständnis für seine Bedürfnisse zeigen und seien gewillt, Verantwortung für eine kindgerechte Umsetzung seiner Bedürfnisse zu übernehmen. Liegen diese Voraussetzungen vor, ist die Aufrechterhaltung der gemeinsamen elterlichen Sorge im wohl verstandenen Kindeswohlinteresse (OLG Köln FamRZ 2013, 47).
Im familiengerichtlichen Verfahren nimmt das Gericht eine zweistufige Kindeswohlprüfung vor:
- In der ersten Stufe ist zu klären, ob die Aufrechterhaltung des gemeinsamen Sorgerechts dem Kindeswohl am besten entspricht oder die Aufhebung der gemeinsamen Sorge vorzuziehen ist.
- Wird diese Frage bejaht, ist in der zweiten Stufe zu entscheiden, welcher Elternteil besser geeignet ist, in Zukunft die alleinige elterliche Sorge zu übernehmen.
aa) 1. Stufe: Dient die alleinige elterliche Sorge dem Kindeswohl?
Zu prüfen ist hier
- inwieweit beide Eltern uneingeschränkt zur gemeinsamen Pflege und Erziehung des Kindes geeignet sind,
- ob ein gemeinsamer Wille zur Kooperation besteht und
- ob keine sonstigen Gründe vorliegen, die es im Interesse des Kindeswohls gebieten, das Sorgerecht nur einem Elternteil zu übertragen.
Hinweis:
Ausführlich zu den praktisch relevanten Fallgruppen Schilling NJW 2007, 3233, 3238 m.w.N.; Völker/Clausius, Das familienrechtliche Mandat, 1. Aufl. 2014, § 1 Rn. 22; Poncelet, jurisPK-BGB, 7. Aufl. 2014, § 1671 BGB Rn. 31.
Praktisch werden Einschränkungen des gemeinsamen Sorgerechts nach der teilweise kasuistischen Rechtsprechung aufgrund der folgenden Fallsituationen in Betracht gezogen.
Vielfach wird vorgetragen, dass sich die Eltern nicht über die Belange des Kindes einigen können. Sicherlich kann gemeinsames Sorgerecht in der Praxis nur funktionieren, wenn der nötige Wille zur Kooperation und zum Zusammenwirken auf dem Gebiet der Erziehung des Kindes besteht. Wird eine gerichtliche Regelung angestrebt, ist davon auszugehen, dass Meinungsverschiedenheiten vorhanden sind. Dies kann aber nicht ausreichen, das gemeinsame Sorgerecht – und damit die erzieherische volle Mitverantwortung des anderen Elternteils – zu beenden.
Allerdings ist in Fällen, in denen die gemeinsame elterliche Sorge praktisch nicht "funktioniert" und es den Eltern nicht gelingt, zu gemeinsamen Entscheidungen im Interesse des Kindes zu gelangen, der Alleinsorge eines Elternteils den Vorzug gegenüber dem Fortbestand der gemeinsamen Sorge zu geben (BGH FamRZ 2005, 1167; BGH FamRZ 1999, 1646). Denn die gemeinsame Ausübung der Elternverantwortung, die sich als oberste Richtschnur an dem so verstandenen Kindeswohl auszurichten hat (Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG), setzt eine tragfähige soziale Beziehung zwischen den Eltern voraus und erfordert daher ein Mindestmaß an Übereinstimmung zwischen ihnen (BVerfG FamRZ 2004, 354 f.). Zentrale Bedeutung gewinnen damit – objektive – Kooperationsfähigkeit und – subjektive – Kooperationsbereitschaft der Eltern (OLG Köln FamRZ 2013, 47; OLG Saarbrücken OLGR 2004, 155; OLG Frankfurt FamRZ 1999, 612 f.; KG FamRZ 2000, 502 f.).
Praxishinweise:
- In der Praxis werden vielfach nur allgemeine und pauschale Vorwürfe vorgebracht. Relevant sind aber allein konkret und detailliert beschriebene Umstände!
- Eine frühzeitige Einschaltung des Jugendamtes empfiehlt sich immer, weil der Stellungnahme des Jugendamtes letztlich eine entscheidende Wirkung zukommt.
Vermögen die Eltern nach der Trennung eine gemeinsame "Kommunikations- und Problemlösungsebene" nicht aufzubauen und ist dies – prognostisch – auch für die Zukunft nicht zu erwarten, ist die gemeinsame elterliche Sorge aufzulösen und die Sorge demjenigen Elternteil zuzuweisen, bei dem das Wohl des Kindes am besten gewahrt zu werden verspricht. Denn in diesem Fall steht die vom Kind wahrgenommene Zerstrittenheit der Eltern bzw. das anerkannte Desinteresse eines Elternteils an seiner Entwicklung dem Kindeswohl entgegen. Vielmehr gefährdet dann die "gemeinsame Sorge" eher das Kindeswohl (OLG Köln FamRZ 2013, 47).
Wenn sich der betreuende Elternteil vehement gegen die gemeinsame Sorge wendet und z.B. ti...