Zusammenfassung
Beruft sich der Erwerber eines gebrauchten Fahrzeugs auf den gutgläubigen Erwerb, trägt derjenige, der den guten Glauben in Abrede stellt, die Beweislast dafür, dass der Erwerber sich die Zulassungsbescheinigung Teil II zur Prüfung der Berechtigung des Veräußerers nicht hat vorlegen lassen. Den Erwerber trifft allerdings regelmäßig eine sekundäre Darlegungslast hinsichtlich der Vorlage und Prüfung der Zulassungsbescheinigung Teil II.
(amtlicher Leitsatz)
BGH, Urt. v. 23.9.2022 – V ZR 148/21 (s. ZAP EN-Nr. 715/2022 [Ls.])
I. Sachverhalt
Die Klägerin, eine Gesellschaft italienischen Rechts, kaufte im März 2019 unter Einschaltung eines Vermittlers ein Fahrzeug von einem in Deutschland ansässigen Autohaus. Eigentümerin des Fahrzeugs war die Beklagte, die dieses an das Autohaus verleast hatte und auch im Besitz der echten Zulassungsbescheinigung Teil II (§ 12 Abs. 6 FZV; umgangssprachlich auch nach der Umbenennung 2005 – vgl. § 25 Abs. 4 S. 2 StVZO a.F. – weiterhin als Fahrzeugbrief bekannt) ist. Im Kaufvertrag war vereinbart, dass das Autohaus der Klägerin die Zulassungsbescheinigung Teil II nach Erhalt der Gelangensbestätigung übersendet. Die Gelangensbestätigung hat den Zweck, dem Abnehmer nach Überführung des Autos zu bestätigen, dass das Fahrzeug als Gegenstand der Lieferung in das übrige Gemeinschaftsgebiet gelangt ist (vgl. §§ 4 Nr. 1b, 6a Abs. 1 UStG).
Nach Zahlung des Kaufpreises holte der Vermittler Anfang April 2019 das Auto bei dem Autohaus ab, eine Übersendung der Zulassungsbescheinigung Teil II erfolgte indes nicht. Mit der Klage verlangt die Klägerin von der Beklagten die Herausgabe der Zulassungsbescheinigung Teil II. Sie habe den Wagen und damit auch – analog § 952 BGB – den dazugehörigen Fahrzeugbrief gutgläubig erworben. Zur Gutgläubigkeit erklärt sie, dem Vermittler sei bei Vertragsschluss eine hochwertige Fälschung der Zulassungsbescheinigung Teil II, die das Autohaus als Halterin ausweise, vorgelegt worden. Die Beklagte, die eine solche Vorlage bestreitet, erstrebt widerklagend Herausgabe des Fahrzeugs.
II. Entscheidung
Das OLG Stuttgart (Urt. v. 21.7.2021 – 9 U 90/21) hatte die Beklagte zur Herausgabe der Zulassungsbescheinigung Teil II verurteilt und die Widerklage abgewiesen. Die hiergegen gerichtete Revision der Beklagten hat der BGH zurückgewiesen.
Die Beurteilung des Eigentumserwerbs richtet sich laut Senat aufgrund des internationalen Kontexts gem. Art. 43 Abs. 1 EGBGB nach deutschem Recht als der maßgeblichen lex rei sitae (§§ 929 S. 1, 932 Abs. 1 und Abs. 2 BGB). Die Klägerin könne von der Beklagten gem. § 985 BGB die Herausgabe der Zulassungsbescheinigung Teil II verlangen, da sie gem. §§ 929 S. 1, 932 BGB Eigentümerin des Fahrzeugs geworden sei. In (entsprechender) Anwendung des § 952 BGB folge das Eigentum an dem Fahrzeugpapier dem Eigentum an dem Fahrzeug (vgl. bereits BGH NJW 2020, 3711 Rn 32 m.w.N.).
Die Verteilung der Darlegungs- und Beweislast richte sich nach § 932 Abs. 1 S. 1 BGB, wonach die Beweislast für die Bösgläubigkeit der Klägerin bei der Beklagten liege. Ein solcher Beweis sei von der Beklagten nicht erbracht worden. Auch i.R.d. sekundären Darlegungslast habe die Klägerin dieser durch ihre Erklärung genügt.
So habe die Klägerin hinreichend dargelegt, dass ihrem Vermittler, auf dessen Kenntnis es nach § 166 Abs. 1 BGB ankommt, eine hochwertige Fälschung einer Zulassungsbescheinigung vorgelegt worden sei. Daher habe der Vermittler davon ausgehen dürfen, dass sich das Fahrzeug im Eigentum des Autohauses befunden habe. Zu weiteren Nachforschungen seien weder die Klägerin noch deren Vermittler verpflichtet gewesen, zumal die Fälschung weder offensichtlich noch andere Verdachtsmomente immanent gewesen seien.
III. Anmerkung
Im Mittelpunkt der Entscheidung stand die Frage, ob die Klägerin nach § 932 BGB gutgläubig Eigentum an dem Fahrzeug erwerben konnte. Demnach wird der Erwerber durch eine nach § 929 BGB erfolgte Veräußerung auch dann Eigentümer, wenn die Sache nicht dem Veräußerer gehört, es sei denn, dass er zu der Zeit, zu der er nach diesen Vorschriften das Eigentum erwerben würde, nicht in gutem Glauben ist. An dieser Gutgläubigkeit fehlt es nach Abs. 2, wenn dem Erwerber bekannt oder infolge grober Fahrlässigkeit unbekannt ist, dass die Sache nicht dem Veräußerer gehört.
Der gutgläubige Erwerb beruht auf dem Prinzip der Vertrauenshaftung. Er setzt einen Rechtsscheintatbestand voraus, den der Alteigentümer zurechenbar veranlasst hat und auf den der Erwerber in schutzwürdiger Weise vertrauen darf (MüKoBGB/Oechsler, 8. Aufl. 2020, § 932 Rn 4). Seine Rechtfertigung findet der gutgläubige Erwerb darin, dass es in der Verantwortlichkeit des Eigentümers liegt, Zuverlässigkeit und Vertrauenswürdigkeit derjenigen zu überprüfen, denen er seine Sache überlässt (Soergel/Höpfner, 14. Aufl. 2023, § 932 Rn 2). Seine Grenze findet das Vertrauensprinzip allerdings bei Bösgläubigkeit des Erwerbers (§ 932 Abs. 2 BGB) sowie bei abhanden gekommenen Sachen (§ 935 Abs. 1 BGB).
Als Rechtsscheingrundlage knüpft § 932 BGB grds. an den Besitz des ...