Hinweis:
Änderung der Rechtsprechung.
Mit Urteil vom 29.1.2015 (2 AZR 280/14, ZAT 2015, 99) hat das BAG seine Rechtsprechung zum Maßstab des Günstigkeitsvergleichs vertraglicher Kündigungsfristen geändert. Danach gilt nun: Eine vertragliche Kündigungsfrist kann sich gegen die maßgebliche gesetzliche Kündigungsfrist nur durchsetzen, wenn sie in jedem Fall zu einer späteren Beendigung des Arbeitsverhältnisses führt. Es genügt nicht (wie bisher), dass die vertragliche Regelung für die längere Zeit innerhalb eines Kalenderjahres den besseren Schutz gewährt.
Sachverhalt: Die Parteien streiten, ob eine ordentliche Kündigung nach mehr als 20-jährigem Bestand des Arbeitsverhältnisses wirksam ist. Im "Anstellungsvertrag für außertarifliche Angestellte" vom 15.3.2005 (künftig: ArbV) heißt es in § 8 Nr. 1: "Die Kündigungsfrist beträgt beiderseits sechs Monate zum 30. Juni oder 31. Dezember des Jahres." Am 5.12.2012 vereinbarte die Beklagte mit dem zuständigen Betriebsrat einen Interessenausgleich über eine geplante Betriebsschließung. Am 11.12.2012 entschied ihre Alleingesellschafterin, den Betrieb zum 30.6.2013 stillzulegen. Zu diesem Datum endete auch der Mietvertrag für das Betriebsgrundstück. Mit Schreiben vom 19.12.2012, der Klägerin am selben Tag zugegangen, kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis "unter Wahrung der arbeitsvertraglichen Kündigungsfrist ordentlich zum 30.6.2013". Die Klägerin wies die Kündigung mit Schreiben vom 4.1.2013 mangels Vorlage einer Vollmachtsurkunde zurück.
Mit der vorliegenden Klage hat die Klägerin sich rechtzeitig gegen die Kündigung gewandt. Sie hat die Unterzeichnung des Kündigungsschreibens durch die Geschäftsführerin und die Anhörung des Betriebsrats am 6.12.2012 bestritten sowie die soziale Rechtfertigung der Kündigung gerügt. Im Übrigen sei die Kündigungsfrist des § 622 Abs. 2 S. 1 Nr. 7 BGB nicht gewahrt, diese betrage sieben Monate zum Ende eines Kalendermonats. Während das ArbG feststellte, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung – unter Einhaltung der gesetzlichen Kündigungsfrist erst – zum 31.7.2013 aufgelöst worden sei, hat das LAG die Klage – auch bzgl. der Dauer der Kündigungsfrist – insgesamt abgewiesen.
Entscheidungsgründe: Die Revision ist teilweise begründet und stellt im Ergebnis die Entscheidung des ArbG wieder her. Eine einzelvertragliche Verkürzung der Fristen des § 622 Abs. 2 BGB ist – vorbehaltlich einer Abrede i.S.v. § 622 Abs. 4 S. 2 BGB – nicht möglich. Zulässig ist gem. § 622 Abs. 5 S. 3 BGB allein die einzelvertragliche Vereinbarung längerer Kündigungsfristen als der in Absatz 2 der Norm vorgesehenen. Ob eine im Sinne der Gesetzes "längere" Kündigungsfrist vereinbart wurde, ist durch einen Günstigkeitsvergleich zu ermitteln, indem grundsätzlich die Kündigungsfrist (hier sechs Monate) und der Kündigungstermin (hier 30. Juni oder 31. Dezember) als Einheit zu betrachten sind (sog. Gesamtvergleich, Ensemble- oder Gruppenvergleich). Vergleichszeitpunkt ist der Tag des Vertragsschlusses; jedenfalls muss spätestens mit dem Eintritt des Arbeitnehmers in die jeweilige "Stufe" des § 622 Abs. 2 BGB feststehen, welche Regelung als die günstigere vorgehen wird.
Die einzelvertragliche Kombination einer kürzeren als der gesetzlich einschlägigen Kündigungsfrist mit eingeschränkten Kündigungsterminen (z.B. nur zum Quartals- oder Halbjahresende) setzt sich nur durch, wenn sie stets günstiger ist. Dies folgt aus § 4 Abs. 3 TVG und § 622 Abs. 2 BGB der Mindestfristen bestimmt, die dem Arbeitnehmer – vorbehaltlich der Möglichkeiten des § 622 Abs. 4 BGB – ausnahmslos zur Verfügung stehen sollen. Der Schutzzweck der gesetzlichen Kündigungsfristen liegt im – temporären – Bestandsschutz für die Dauer der Kündigungsfrist bei i.Ü. wirksamer Kündigung. Zuletzt entspricht die Auslegung auch dem Normzweck der zuletzt erfolgten Gesetzesänderung, was sich aus dem Übergangsrecht des Art. 222 Nr. 1 EGBGB ergibt, welches die gesetzlichen Fristen auf alle Sachverhalte erstreckte (vgl. BT-Drucks 12/4902, S. 9). Die vertragliche Regelung ist unwirksam, egal, ob § 622 Abs. 2 BGB eine Gebots- (dann Anwendungsvorrang) oder Verbotsnorm (dann Nichtigkeit) darstellt.
Die Kündigung ist weder zum 30.6.2013 wirksam noch ist sie als Willenserklärung insgesamt unwirksam. Sie kann in eine Kündigung zum 31.7.2013 umgedeutet werden (§ 140 BGB). Die Klägerin hat in der Frist des § 4 S. 1 KSchG Klage erhoben und sich in den zeitlichen Grenzen des § 6 S. 1 KSchG auf die Nichteinhaltung der Kündigungsfrist berufen. Es gibt keinen Anhalt dafür, dass die Beklagte eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses ausschließlich zum 30.6.2013 gewollt hätte. Die Kündigung zum 31.7.2013 ist wirksam. Sie ist aufgrund der Betriebsstilllegung sozial gerechtfertigt i.S.v. § 1 Abs. 2 KSchG. Die Klägerin hat die Ordnungsgemäßheit des Konsultationsverfahrens (§ 17 Abs. 2 KSchG) nicht bestritten. Ihre Rüge, die Massenentlassungsanzeige (§ 17 Abs. 3 KSchG) sei fehlerhaft, hat sie auf entsprechenden Vortrag der Bekla...