Das BVerfG hat in zwei Beschlüssen vom 8.7.2020 (1 BvR 1094/20 und 1 BvR 932/20, s. hierzu Wenner SoSi plus 11/2020, 5) Verfassungsbeschwerden wegen Verletzung des Anspruchs auf effektiven Rechtsschutz (Art. 19 Abs. 4 S. 1 GG) stattgegeben, die sich gegen zwei Entscheidungen eines LSG richteten, die bei einem solchen Sachverhalt, der dem EuGH zur Entscheidung vorlag, Anspruch auf Eilrechtsschutz nach § § 86 Abs. 2 SGG abgelehnt hatten.
Die Gewährung effektiven Rechtsschutzes verlangt grds. die Möglichkeit eines Eilverfahrens, wenn ansonsten den Betroffenen eine erhebliche Verletzung ihrer Rechte droht, die durch die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr beseitigt werden kann. Die Entscheidungen im Eilverfahren dürfen sowohl auf eine Folgenabwägung als auch auf eine summarische Prüfung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache gestützt werden.
Hierbei ist jedoch besonders dem Gewicht infrage stehender Grundrechte Rechnung zu tragen. Je gewichtiger die drohende Grundrechtsverletzung und je höher ihre Eintrittswahrscheinlichkeit ist, desto intensiver hat die tatsächliche und rechtliche Durchdringung der Sache bereits im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes zu erfolgen. Wenn ohne die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes schwere und unzumutbare, anders nicht ab abwendbare Beeinträchtigungen entstehen können, die durch das Hauptsacheverfahren nicht mehr zu beseitigen wären, dürfen sich die Gerichte nur dann an den Erfolgsaussichten der Hauptsache orientieren, wenn sie die Sach- und Rechtslage nicht nur summarisch, sondern abschließend prüfen können, was allerdings nur in Betracht kommt, wenn eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage möglich ist. Andernfalls ist in solchen Fällen eine Folgenabwägung durchzuführen (s. bereits BVerfG, Beschl. v. 14.3.2019 – 1 BvR 169/19, Rn 15 m.w.N.; st. Rspr., s. auch Sartorius/Winkler ZAP F. 18, S. 1697 f.).
In den entschiedenen Fällen hat das LSG, das ohne Folgenabwägung zu Lasten der Antragsteller entschieden hatte, den Anforderungen der verfassungsrechtlichen Rechtsprechung nicht angemessen entsprochen. Angesichts des Gewichts der hier anstehenden Grundrechtsbeeinträchtigungen (Gewährung eines menschenwürdigen Existenzminimums aus Art. 1 GG i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG) hätte es nur nach abschließender Prüfung der Sach- und Rechtslage auf die Erfolgsaussichten in der Hauptsache abstellen dürfen. Dies geschah aber hier nicht. Das LSG hat im Wesentlichen nur auf eigene Beschlüsse verwiesen und war u.a. auf eine einschlägige Entscheidung des BVerfG vom 4.10.2019 (1 BvR 1710/18) nicht eingegangen. Ferner beanstandete das BVerfG, das Gericht hätte zudem die Konsequenzen der von ihm angedachten Lösung einer Rückkehr der Beschwerdeführer in ihr Heimatland und damit die Trennung von ihrer Familie im Lichte von Art. 6 GG und Art. 8 EMRK würdigen müssen.
ZAP F. 18, S. 449–466
Von Rechtsanwalt und Fachanwalt für Sozialrecht und für Arbeitsrecht Dr. Ulrich Sartorius, Breisach, und Prof. Dr. Jürgen Winkler, Katholische Hochschule Freiburg