Die geschäftliche Handlung (Versenden des Inkassomahnschreibens) sah das OLG Hamburg als irreführend an, da eine unwahre Angabe i.S.d. § 5 Abs. 1 S. 2, 1. Alt. UWG vorliege, wenn der behauptete Vertragsschluss tatsächlich nicht stattgefunden hat und berief sich auf die Rechtsprechung des BGH (Urt. v. 6.6.2019 – I ZR 216/17 – Identitätsdiebstahl, a.a.O.). Das OLG Hamburg hatte die Kundin als Zeugin vernommen und die Überzeugung gewonnen, dass diese keinen Vertrag mit der T. Germany GmbH & Co. KG abgeschlossen hatte. Nach der vorgenannten – dem angegriffenen Urteil des LG Hamburg vom 29.11.2018 zeitlich nachfolgenden – neueren Rechtsprechung des BGH vom 6.6.2019 schließe die Übersendung einer unberechtigten Zahlungsaufforderung an einen Verbraucher aus dessen Sicht nicht nur die unwahre Behauptung einer Bestellung der in Rechnung gestellten Dienstleistung ein, sondern sei darüber hinaus zur Täuschung des Verbrauchers geeignet, was genüge. Auf einen Täuschungserfolg komme es also nicht an. Ein erheblicher Teil der Durchschnittsverbraucher kann im Übrigen nach dem Zugang einer entsprechenden, unberechtigten Zahlungsaufforderung annehmen, er habe – z.B. versehentlich oder nicht mehr erinnerlich – den behaupteten Vertrag geschlossen. Die wettbewerbsrechtliche Relevanz stehe aufgrund der BGH-Entscheidung „Identitätsdiebstahl” fest.
Das OLG Hamburg hat hierbei erkannt, dass sich die Beklagte gegenüber der Telefongesellschaft nicht in einer „unterlegenen Position” befunden hatte, zumal sie auch gar nicht von einem Vertragsabschluss ausging. Das Gericht prüfte daher, ob eine Irreführung i.S.v. Art. 6 Abs. 1 UGP-Richtlinie in Fällen wie dem vorliegenden auszuschließen ist (in diese Richtung ging eine frühere – vom LG Hamburg erwähnte – Entscheidung des BGH, Urt. v. 17.8.2011 – I ZR 134/10 – Auftragsbestätigung –, die zwar nicht i.R.v. § 5 Abs. 1 UWG ergangen ist, sondern zu Nr. 29 des Anhangs zu § 3 Abs. 3 UWG und zu § 7 Abs. 1 UWG). Wegen der – insofern späteren – Rechtsprechung des EuGH und des BGH sei hier aber bei fehlender Täuschungsrelevanz kein Ausnahmefall anzunehmen:
Zitat
„Dem ist indes nach der jüngeren höchstrichterlichen Rechtsprechung nicht so. Die Annahme einer irreführenden Handlung i.S.v. Art. 6 UGP-Richtlinie setzt grds. nicht voraus, dass der Gewerbetreibende vorsätzlich eine objektiv falsche Angabe macht (EuGH, GRUR 2015, 600 Rn 47-49 – Ungarische Verbraucherschutzbehörde; BGH, GRUR 2019, 1202 Rn 26 – Identitätsdiebstahl). Gemäß Art. 11 URP-Richtlinie ist der Nachweis vorsätzlichen oder fahrlässigen Handelns nicht notwendig. Es erscheint zwar im logischen Sinne nicht als zwingend, dass damit auch im – hier vorliegenden – Falle einer unstreitig oder erwiesenermaßen unverschuldeten bzw. unvermeidbaren Falschangabe eine Rechtsverletzung anzunehmen ist. Dass vorsätzliches oder fahrlässiges Handeln nicht nachgewiesen werden muss, heißt nicht zwingend, dass ein unstreitig oder erwiesenermaßen unverschuldetes Handeln ebenfalls als tatbestandsmäßige Rechtsverletzung anzusehen ist.”
Sodann prüfte das OLG Hamburg noch die Frage, ob der Irreführungstatbestand letztendlich doch noch zu verneinen ist, falls der besondere Unlauterbarkeitstatbestand der Nr. 29 des Anhangs zu § 3 Abs. 3 UWG die allgemeinen UWG-Vorschriften der Unlauterbarkeit wegen irreführender und aggressiver Geschäftspraktiken verdrängen sollte. Grundsätzlich stehen die vorgenannten Tatbestände nebeneinander und ergänzen sich (BGH – Identitätsdiebstahl – Rn 28). Allerdings scheint der BGH eine Wechselwirkung nicht in jedem Fall ausschließen zu wollen (BGH – Identitätsdiebstahl – Rn 29). Ob also letztendlich ein Wertungswiderspruch zwischen dem Tatbestand der Nr. 29 des Anhangs zu § 3 Abs. 3 UWG und dem Irreführungstatbestand nach § 5 Abs. 1 UWG möglich ist, hatte der BGH in der Entscheidung „Identitätsdiebstahl” dahinstehen lassen und darauf abgestellt, dass das im dort zu entscheidenden Fall in Rede stehende Verhalten, welches dem hiesigen im Wesentlichen gleicht, nach beiden Vorschriften als unlauter anzusehen sei (a.a.O. Rn 30 ff. – Identitätsdiebstahl). Im hier vorliegenden Fall sind jedoch nach der Auffassung des OLG Hamburg – wie nachstehend zu III 2 dargestellt wird – die Tatbestandsvoraussetzungen des Nr. 29 des Anhangs zu § 3 Abs. 3 UWG nicht erfüllt, sodass das OLG Hamburg sich insofern entscheiden musste. Es ging im Ergebnis davon aus, dass es den BGH (Identitätsdiebstahl, Rn 29) so verstehe, dass sich im Ergebnis kein Wertungswiderspruch und auch keine Unverhältnismäßigkeit ergebe (dazu unter III. 3. und III. 4.).