Zusammenfassung
Hinweis:
In der Reihe "Basiswissen zum Arbeitsrecht: Arbeitsgerichtliches Verfahren (Teil 1)" stellt der Verfasser in diesem Beitrag "Das arbeitsrechtliche Mandat" die wichtigsten Grundüberlegungen und Hinweise, insb. zu Frist- und Formerfordernissen, zur AGB-Kontrolle, zu Antragstellung und Grundbegrifflichkeiten, zum Sonderkündigungsschutz sowie zur digitalen Arbeitswelt für die arbeitsrechtliche Beratungspraxis vor. Der zweite Teil "Arbeitsgerichtliches Verfahren: Klagearten und Rechtsmittel im arbeitsgerichtlichen Verfahren" folgt demnächst in ZAP 2022, F. 17.
I. Grundüberlegungen
Arbeitsrecht ist alles andere als eine trockene Materie. Ständige arbeitsrechtliche Änderungen und Neuregelungen, in Abhängigkeit von der politischen und wirtschaftlichen Großwetterlage, gestalten sich für den Arbeitsrechtler als "permanentes Erlebnisprogramm" (vgl. Bauer, NZA 1999, 11). Selbst für den spezialisierten Praktiker ist es nicht leicht, angesichts der Dynamik den Überblick zu bewahren (zu arbeitsrechtlichen Schwerpunkten in den Jahren 2021 und 2020 vgl. Eckert, DStR 2022, 270 und 314; Ders., DStR 2021, 1115 und 1952; Winzer/Baeck/Schaaf, NZG 2021, 450; Zundel, NJW 2021, 127). Wie kein anderes Rechtsgebiet wird das Arbeitsrecht dabei in besonderem Maße durch die höchstrichterliche und Instanzen-Rechtsprechung der Arbeitsgerichte geprägt.
Neben guter Branchenkenntnis fordert die qualifizierte Beratung vom im Arbeitsrecht tätigen Anwalt taktisches Geschick, Kreativität sowie Anpassungs- und Gestaltungsfähigkeit. Wer seinem Mandanten immer nur sagt, wo Risiken bestehen und wie es nicht geht, ohne dabei rechtlich gangbare und wirtschaftlich sinnvolle Alternativen aufzuzeigen, läuft Gefahr, das Mandat über kurz oder lang zu verlieren (vgl. Bauer, NZA 1999, 11 [12]). Gefragt sind aus Sicht des Mandanten z.B. im Kündigungsszenario auf Arbeitgeberseite zielführende Strategien zur Verringerung des Annahmeverzugslohnrisikos (vgl. Liebscher/Rinckhoff, öAT 2021, 26; Stenslik/Buchholz, DStR 2020, 2794; Witteler/Brune, NZA 2020, 1689).
Der im Arbeitsrecht tätige Anwalt sieht sich in seiner täglichen Arbeit entsprechend seinen Mandaten mit den unterschiedlichsten Aufgaben konfrontiert. Zu nennen sind hier z.B.
- die außergerichtliche schriftliche, mündliche oder telefonische Beratung,
- die Vertretung vor den Arbeitsgerichten,
- gutachterliche Tätigkeiten und Stellungnahmen,
- Verhandlungen und Mediation,
- Interessenausgleich- und Sozialplanverhandlungen,
- die Begleitung von Einigungsstellen als Beisitzer,
- die Verhandlung von Tarifverträgen sowie
- arbeitsrechtliche Vorträge und Veröffentlichungen sowie Seminare und In-House-Schulungen.
Dabei hat nicht zuletzt die Corona-Pandemie wieder einen deutlichen Schub in Richtung der Digitalisierung der Geschäftsabläufe gebracht. Anwaltliche Tätigkeit im Arbeitsrecht ohne Einsatz von beA, E-Mail, modernen Collaboration-Tools wie Zoom, Slack, MS-Teams und einer leistungsfähigen Kanzleisoftware ist heute nicht mehr denkbar.
Angesichts der Vielfältigkeit der zum Arbeitsrecht zählenden Rechtsmaterien und Aufgabenstellungen ist ein Beitrag zum arbeitsrechtlichen Mandat eine echte Herausforderung. Um einerseits nicht in Allgemeinplätze abzugleiten und andererseits genug Denkanstöße zu liefern, versucht der nachfolgende Beitrag dem interessierten Leser durch einen Überblick aus der täglichen Arbeit eines Fachanwalts für Arbeitsrecht – ohne Anspruch auf Vollständigkeit – eine erste Orientierung zu geben.
II. Schnittstellen zum und Prägung durch das Europarecht
Das deutsche Arbeitsrecht wird maßgeblich und in zunehmendem Maße durch europäische Richtlinien, ihre Umsetzung in deutsches Recht und die Vorgaben des EuGH geprägt (vgl. Wank, RdA 2020, 1). Dieser Befund steht im Einklang mit der Harmonisierung des Wirtschaftsraums der Europäischen Union (vgl. Schubert/Jerchel, EuZW 2017, 551). Die Schnittstellen zum Europarecht (ein guter Einstieg findet sich bei Thüsing, Europäisches Arbeitsrecht, 3. Aufl. 2017 und Winter, NZA-Beilage 2020, 58) sind vielfältig. Als Beispiele für Bereiche, in denen das Europarecht das deutsche Arbeitsrecht in besonderer Weise prägt, sind zu nennen: das Arbeitszeitrecht (vgl. Bayreuther, NZA 2020, 1; Ulber, NZA 2019, 677), der Betriebsübergang nach § 613a BGB (vgl. Bayreuther, NZA 2020, 1505), das Befristungsrecht (vgl. Linsenmaier, RdA 2012, 193), der Diskriminierungsschutz – insb. Geschlecht, Alter, Behinderung, Religion, sexuelle Orientierung u.a. (vgl. Sagan, EuZW 2017, 457), der Datenschutz mit der DSGVO (vgl. Franzen, EuZA 2017, 313), die Massenentlassung als sprichwörtliches Buch mit sieben Siegeln (vgl. Güzel, NZA-RR 2021, 285; Spelge, NZA-Beilage 2021, 34; BAG, Urt. v. 13.3.2020 – 6 AZR 146/19, NZA 2020, 1006 "Air-Berlin") und das Urlaubsrecht (vgl. Jacobs/Münder, RdA 2019, 332 und RdA 2020, 13; Arnold/Zeh, NZA 2019, 1).
Dem allgemein tätigen Anwalt ohne besondere arbeitsrechtliche Spezialisierung werden diese Themen oftmals nicht in der erforderlichen Tiefe bekannt sein, was gleichsam erhebliches Haftungspotenzial bedeutet. Insgesamt verstärkt die Vereinheit...