Der Rechtsausschuss des Deutschen Bundestags hatte sich Mitte April im Rahmen einer öffentlichen Anhörung mit den von der Bundesregierung geplanten Änderungen im Sanktionenrecht befasst (vgl. zu den Gesetzesplänen Anwaltsmagazin ZAP 2022, 815). Die eingeladenen Sachverständigen äußerten sich bei dieser Gelegenheit differenziert zu den verschiedenen Vorhaben in dem Gesetzentwurf, u.a. zu den Änderungen im Bereich der Ersatzfreiheitsstrafen, beim Maßregelvollzug sowie bei den Strafzumessungsgründen.
Kontrovers bewertet wurde etwa die im Gesetzentwurf vorgeschlagene Halbierung des Umrechnungsmaßstabs einer Geld- in einer Ersatzfreiheitsstrafe. Laut Entwurf soll künftig für zwei Tagessätze Geldstrafe ein Tag Ersatzfreiheitsstrafe angeordnet werden – bisher findet eine Umrechnung eins zu eins statt. Der Gesetzentwurf sieht zudem weitere Regelungen vor, mit denen der Vollzug der Ersatzfreiheitsstrafe möglichst vermieden werden soll. Während ein Teil der Expertinnen und Experten die neuen Regelungen grds. als sinnvoll erachteten, gingen sie anderen nicht weit genug.
Eine Rechtswissenschaftlerin von der Universität Hamburg meinte, die „beste Ersatzfreiheitstrafe” sei diejenige, „die nicht angeordnet werden muss”. Sie verwies in diesem Zusammenhang auf die flankierenden Maßnahmen im Gesetzentwurf, um die Vollstreckung der Ersatzfreiheitsstrafe abzuwenden. Deren geplante Halbierung sei konsequent und dogmatisch richtig. Ähnlich äußerte sich eine geladene Richterin des Bundesgerichtshofs.
Hingegen forderte die Vertreterin des Deutschen Anwaltvereins (DAV), bei der Reform der Ersatzfreiheitsstrafe mutiger vorzugehen. Eine Halbierung werde für die Menschen, die nicht in der Lage seien, die Geldstrafe zu bezahlen, keine Lösung sein. Grundsätzlich müsse zwischen Zahlungsunwilligen und Zahlungsunfähigen unterschiedenen werden und im letzteren Fall auf einen Vollzug verzichtet werden. Wie auch andere Experten forderte sie eine Entkriminalisierung von Bagatelldelikten wie dem Fahren ohne Fahrschein.
In diese Richtung argumentierte auch eine Sachverständige vom Institut für Kriminologie der Universität zu Köln. Die Soziologin verwies darauf, dass es in den Bundesländern schon viele Projekte gebe, um die Ersatzfreiheitsstrafe zu vermeiden. Ein Erfolg sei bislang aber ausgeblieben, während die Anzahl der Verhängungen zunähme. Zahlungsunfähigen solle wie etwa in Schweden die Strafe erlassen oder die Ersatzfreiheitsstrafe gleich ganz abgeschafft werden, forderte die Expertin.
Auch die geplanten Änderungen beim Maßregelvollzug diskutierten die Sachverständigen kontrovers. Der Gesetzentwurf der Bundesregierung sieht vor, die Voraussetzungen für die Anordnung einer Unterbringung in einer Entziehungsanstalt enger zu fassen und die Anrechnungsmodalitäten für eine mögliche Aussetzung einer Freiheitsstrafe zur Bewährung anzupassen.
Die geladene BGH-Richterin bezeichnete die geplanten Änderungen als „sehr wichtig”; kritisch sei nur anzumerken, dass sie „erst jetzt” kämen. Praktiker klagten schon lange, dass zu viele und v.a. die Falschen untergebracht würden, führte die Juristin aus. Der Experte der Aktion Psychisch Kranke e.V. pflichtete dem bei, indem er ausführte, dass es in diesem Bereich einen riesigen Handlungsbedarf gebe. „Die Klinken laufen über”, erläuterte er. Die im Gesetzentwurf vorgesehenen Änderungen seien die „unbedingt notwendigen Schritte”. Er sei sich aber nicht sicher, ob diese Schritte ausreichten. Grundsätzlich warb der Sachverständige dafür, über den zugrunde liegenden § 64 StGB – „bis hin zu einer möglichen Abschaffung” – intensiv zu diskutieren.
Die Vertreterin des DAV vertrat die Ansicht, dass der Entwurf auch in diesem Bereich zu kurz greife und zu einer Verschiebung des Problems führen könne. Kritisch äußerte sich auch ein geladener Rechtsanwalt, der davon sprach, dass der Entwurf von einem „tendenziösen Missbrauchsdiskurs” geprägt sei.
Die im Gesetzentwurf ebenfalls enthaltene Ausweitung von Weisungen und Auflagen im Rahmen von Bewährungsaussetzungen und vorläufigen Einstellungsentscheidungen, etwa mit Bezug zu Psycho- und Sozialtherapien, wurde von den Sachverständigen überwiegend positiv bewertet. Ein Experte meinte allerdings, diese Regelung drohe ins Leere zu laufen, da es nicht genügend Behandlungsplätze gebe.
Auf deutliche Kritik einzelner Sachverständiger stieß auch die geplante Erweiterung der Strafzumessungsgründe. Laut Entwurf sollen künftig „geschlechterspezifische” und „gegen die sexuelle Orientierung gerichtete” Tatmotive als Beispiele für menschenverachtende Beweggründe und Ziele in § 46 StGB aufgeführt werden. Das sei nicht erforderlich, da diese Motive nach „gängiger Zumessungssystematik” problemlos erfasst werden könnten, urteilte ein Rechtswissenschaftler von der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg. Die BGH-Richterin argumentierte ähnlich und kritisierte die geplante Änderung als „symbolhafte Identitätspolitik”. Dafür sei das Strafgesetzbuch der „falsche Ort”.
[Quelle: Deutscher Bundestag...