I. Existenzsicherungsrecht
1. Verfassungswidrige Absenkung der Analog-Leistungen für Asylbewerber in Gemeinschaftsunterkünften
Das BVerfG hatte sich in der Vergangenheit bereits mehrfach mit den verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Bemessung der Regelleistungen in den Mindestsicherungssystemen befasst. Aus Art. 1 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG leitet es ab, dass die Leistungen in den genannten Systemen so zu bemessen sind, dass die für ein menschenwürdiges Leben unbedingt erforderlichen Mittel denjenigen vom Staat zur Verfügung gestellt werden müssen, die ihren Bedarf nicht aus eigenen Mitteln decken können. Dies gilt nicht nur für die Bezieher von Leistungen nach dem SGB II und dem SGB XII, sondern auch für die Leistungsberechtigten nach dem AsylbLG. Auch sie sind in den Schutzbereich von Art. 1 GG und Art. 20 GG einbezogen. Denn das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Lebens ist ein Menschenrecht (so schon BVerfG v. 18. 7.2012 â^’ 1 BvL 10/10, 1 BvL 2/11, BVerfGE 132, 134). Eine Absenkung der Leistungen für Asylbewerber und Flüchtlinge aus migrationspolitischen Gründen ist hiermit nicht vereinbar (BVerfG, a.a.O.).
In seinem Beschl. v. 19.10.2022 – 1 BvL 3/21, NJW 2023, 37 (s. hierzu Ondül, jurisPR-SozR 4/2023, Anm. 4), hatte das BVerfG nun zu entscheiden, ob sog. Analog-Leistungen bei Alleinstehenden, die auch 18 Monate nach ihrer Einreise in die Bundesrepublik Deutschland noch in einer Gemeinschaftsunterkunft oder einer Aufnahmeeinrichtung leben, abgesenkt werden dürfen.
Hinweis:
Die sog. Analog-Leistungen erhalten Leistungsberechtigte nach § 1 AsylbLG – z.B. Asylantragsteller und geduldete Ausländer –, die sich seit 18 Monaten ohne wesentliche Unterbrechung in der BRD aufhalten und die Aufenthaltsdauer nicht rechtsmissbräuchlich beeinflusst haben, etwa durch Vernichtung des Passes oder durch die Weigerung, einen neuen Pass zu beantragen. Die Analog-Leistungen entsprechen den betragsmäßig höheren Leistungen nach dem SGB XII. Deshalb der Begriff Analog-Leistungen. Sie werden analog dem SGB XII gewährt, bleiben aber dennoch Leistungen nach dem AsylbLG, was sich auf die anzuwendenden Vorschriften auswirkt.
Artikel 3 des Dritten Gesetzes zur Änderung des Asylbewerberleistungsgesetzes v. 13.8.2019 (BGBl I, 1290) reduzierte m.W.v. 1.9.2019 die Höhe der Analog-Leistungen für den oben beschriebenen Personenkreis. Bei diesem richtet sich die Höhe der Regelleistung gemäß des neu eingefügten § 2 Abs. 4 Nr. 1 AsylbLG nicht nach der Regelbedarfsstufe 1, sondern nach der betragsmäßig niedrigeren neu eingeführten Regelbedarfsstufe 2. Diese Regelbedarfsstufe ist unabhängig davon anzuwenden, ob die leistungsberechtigte Person mit einem Partner oder einer Partnerin oder anderen Erwachsenen zusammenlebt. Der Gesetzgeber begründete die Absenkung des Regelbedarfs damit, dass auch bei Personen, die in einer Sammelunterkunft leben, davon ausgegangen werden könne, dass es durch gemeinsames Wirtschaften „aus einem Topf” wie bei Paarhaushalten zu Einsparungen kommt, z.B. bei Lebensmitteln (BT-Drucks 19/10052, 23).
Der erwachsene ausländische Kläger war 2014 in die BRD eingereist. Seit Juli 2015 erhielt er Leistungen nach § 2 AsylbLG nach der Regelbedarfsstufe 1. Im Jahr 2017 wurde sein Asylantrag abgelehnt. Er war vollziehbar ausreisepflichtig, hatte aber eine Duldung. Von November 2019 bis Februar 2020 lebte er in einer Sammelunterkunft. Ab November 2019 erhielt er Leistungen nach § 2 AsylbLG in Anwendung der Gesetzesänderung nur noch i.H.d. niedrigeren Regelbedarfsstufe 2. Hiervon wurden Strom- und Energiekosten sowie eine Pauschale für Innenausstattung und Geräte abgezogen. Nachdem sein Widerspruch hiergegen abschlägig beschieden wurde, klagte er. Das SG setzte das Verfahren aus und legte dieses dem BVerfG mit der Frage vor, ob § 2 Abs. 1 S. 4 Nr. 1 AsylbLG mit dem GG vereinbar ist.
Das BVerfG entschied, dass § 2 Abs. 4 Nr. 1 AsylbLG i.d.F. von Art. 1 Nr. 3 des Dritten Gesetzes zur Änderung des Asylbewerberleistungsgesetzes nicht mit dem Grundrecht aus Art. 1 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums vereinbar ist. In Fortführung seiner bisherigen Rspr. (BVerfG v. 9.2.2010 – 1 BvL 1/09 u.a., BVerfGE 125, 175 (222 ff.) – Höhe der Regelleistung I; BVerfG v. 18. 7.2012 â^’ 1 BvL 10/10, 1 BvL 2/11, BVerfGE 132, 134 (159 ff.) – Höhe der Asylbewerberleistungen; BVerfG v. 23.7.2014 – 1 BvL 10/12, 1 BvL 12/12, 1 BvR 1691/13, BVerfGE 137, 34 (72 f.) – Höhe der Regelleistung II) zeigte das BVerfG zunächst seinen Entscheidungsmaßstab auf (Rn 53 ff. der Begründung): Der Staat hat danach eine objektive Verpflichtung, bei Menschen, die keine ausreichende Mittel aus einer Erwerbstätigkeit, Vermögen oder Zuwendungen Dritter haben, ein menschenwürdiges Dasein zu gewährleisten. Mit dieser staatlichen Verpflichtung korrespondiert ein Rechtsanspruch der betroffenen Menschen. Die Sozialleistungen müssen fortlaufend realitätsgerecht bemessen werden. Der Leistungsanspruch auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums erstreckt sich nur auf das hierfür unbedingt Erforderliche. Bei der Umsetzun...