Leitsatz

1. Nach den allgemeinen Grundsätzen muss derjenige, der den Widerruf des Testaments behauptet, zur vollen Überzeugung des Gerichts nachweisen, dass eine Widerrufshandlung vorliegt. Kann er das nicht, ist vom Fehlen eines Widerrufs auszugehen.

2. Hat sich die in verändertem Zustand vorgefundene Testamentsurkunde bis zuletzt im Gewahrsam des Erblassers befunden und liegen keine ernsthaften Anhaltspunkte dafür vor, dass die Veränderungen an der Urkunde von Dritten vorgenommen worden sind, spricht der Anschein dafür, dass die Veränderungen vom Erblasser selbst vorgenommen wurden.

3. Ist in diesem Sinne anzunehmen, dass der Erblasser eine tatsächliche Widerrufshandlung vorgenommen hat (etwa durch Zerreißen der Testamentsurkunde), wird nach § 2255 S. 2 BGB vermutet, dass diese in Widerrufsabsicht erfolgte. In diesem Fall muss derjenige, der sich auf das Weiterbestehen des Testaments trotz einer Widerrufshandlung des Erblassers beruft, beweisen, dass der Erblasser das Testament tatsächlich fortbestehen lassen wollte.

AG Bamberg, Beschl. v. 8.7.2022 – RV 54 VI 2253/21

1 Tatbestand

Die Beteiligte B., die Schwester des Erblassers, beantragte, gestützt auf ein sie begünstigendes Testament, das im Nachttischschrank des Erblassers mittig zerrissen in zwei Teile aufgefunden worden war, einen Erbschein, der sie als Alleinerbin ausweisen sollte. Hiergegen erhob der Beteiligte G., der einzige Abkömmling des Erblassers, unter Berufung auf die gesetzliche Erbfolge Einwände.

Das AG wies den Erbscheinsantrag der Beteiligte B. zurück, da es vom Widerruf des sie begünstigenden Testaments durch den Erblasser ausging. Der amtsgerichtliche Beschl. v. 8.7.2022 - RV 54 VI 2253/21, ist nicht rechtskräftig. Gegen den amtsgerichtlichen Beschluss wurde Beschwerde erhoben, die dem OLG Bamberg zur Entscheidung vorgelegt wurde.

2 Gründe

Die Beteiligte B. ist die Schwester des am … 8.2021 ehelos verstorbenen Erblassers. Der Beteiligte G. ist sein unehelich geborener Sohn, zu dem er jedoch keinen Kontakt hatte. Der Erblasser lebte seit seiner Geburt fast sein gesamtes Leben mit seiner Schwester in einer Haushaltsgemeinschaft. Das elterliche Wohnanwesen wurde ihm im Jahr 197 … überschrieben, seine Schwester, die Beteiligte B., erhielt ein lebenslanges Wohnrecht. Das Geschwisterpaar versorgte sich im Rahmen der Haushaltsgemeinschaft auch gegenseitig.

Mitte 2019 erlitt der Erblasser einen Schlaganfall, infolgedessen er aus gesundheitlichen Gründen ins Pflegeheim umziehen musste, wo er im August 2021 verstarb. Im Jahr 2015 war beim Erblasser ärztlicherseits der Verdacht auf eine demenzielle Entwicklung abgeklärt worden.

Nach dem Tod des Erblassers wies die Beteiligte B. ihren Vorsorgebevollmächtigten, den N., an, in den persönlichen Unterlagen des Erblassers in seinem Nachttisch in seinem Wohnanwesen in S. nach einem Testament zu suchen. Dort fand N. in Anwesenheit der Beteiligten B. unter notariellen Urkunden eine handschriftliche letztwillige Erklärung des Erblassers auf einem karierten Stück Papier datierend auf den 6.6.2004 auf; das betreffende Stück Papier war (mittig) in zwei Teile gerissen und befand sich in einer Klarsichthülle.

Das vorbezeichnete handschriftlich verfasste Schriftstück, unterschrieben mit "B.H." hat nachfolgenden Inhalt:

Zitat

Ich H.B., geb. am … , vermache im Falle meines Todes mein ganzes Vermögen meiner Schwester B.

S., 6.6.04.

Der Vorsorgebevollmächtigte N. klebte daraufhin die beiden Teile entlang des Rissverlaufs auf ein Papier gleicher Größe auf, ohne weitere Veränderungen vorzunehmen, und reichte das entsprechende Schriftstück beim Nachlassgericht ein.

Mit Antrag vom 2.3.2022, aufgenommen zu Protokoll des Nachlassgerichts Bamberg, beantragte die Beteiligte B. die Erteilung eines Erbscheins dahingehend, dass der Erblasser beerbt wird von B. allein.

Die Beteiligte B. begründet ihr Erbrecht wie folgt:

Auf Grundlage des vom Erblasser handschriftlich verfassten Testaments vom 6.6.2004 sei sie zur alleinigen Erbin berufen. Der Umstand, dass der Erblasser die zwei Teile des Testaments in einer Klarsichthülle in seinem Nachttisch unter wichtigen notariellen Urkunden aufbewahrt habe, zeige, dass der Erblasser sein Testament nicht aus der Welt habe schaffen wollen. Denn das Einlegen und Aufbewahren der beiden Testamentsteile in der Klarsichthülle belege, dass das Testament Bestand haben solle. Von einer Widerrufsabsicht durch Vernichtung oder Veränderung könne daher nicht ausgegangen werden. Letztlich sei nicht mehr aufklärbar, wer den Riss verursacht habe, insbesondere sei nicht erwiesen, dass der Riss vom Erblasser selbst verursacht worden sei. Eine eigene vom Erblasser mit Testierfähigkeit vorgenommene Widerrufshandlung könne nicht zweifellos festgestellt werden.

Der Beteiligte G., der selbst keinen Erbscheinsantrag gestellt hat, beansprucht demgegenüber sein alleiniges Erbrecht aufgrund gesetzlicher Erbfolge als einziger Abkömmling des Erblassers. Er wendet sich gegen die Gültigkeit des Testaments vom 6.6.2004. Zunächst stellte er die eigenhändige Errichtung ...

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