Leitsatz
1. Der nicht tatsächlich ausgeübte (fiktive) Erbenbesitz nach § 857 BGB begründet keine Zustandsverantwortlichkeit.
2. Zur Übertragbarkeit der vom BVerfG für den Eigentümer entwickelten Grundsätze über die Zumutbarkeit der Inanspruchnahme als Zustandsverantwortlicher auf den Inhaber der tatsächlichen Gewalt.
OVG Magdeburg (2. Senat), Beschl. v. 18.9.2023 – 2 M 86/23
1 Gründe
I.
Bei einer Ortsbesichtigung am 17.8.2021 stellte der Antragsgegner fest, dass sich das auf dem 759 m² großen Grundstück der Gemarkung (R.), Flur … , Flurstück … (G-Straße 2) befindliche, im Jahr 1880 errichtete Wohngebäude in einem äußerst desolaten Zustand befindet. Als Eigentümerin dieses Grundstücks ist im Grundbuch von R-Stadt, Bl. … , Frau G. eingetragen. In der zweiten Abteilung des Grundbuchs wurde am 1.2.1996 eine Auflassungsvormerkung zugunsten des Herrn M. gem. Bewilligung vom 14.11.1995 eingetragen. Grundlage dieser Eintragung war ein zwischen der Eigentümerin und Herrn M. geschlossener notarieller Grundstückskaufvertrag vom 14.11.1995, der die Regelung enthielt, dass der Besitz und die Nutzungen, die Gefahren und Lasten einschließlich aller Verpflichtungen aus den Grundbesitz betreffenden Versicherungen sowie die allgemeinen Verkehrssicherungspflichten am 1.12.1995 auf den Käufer übergehen.
Frau G. verstarb am … 2021. Nach einer Mitteilung des AG Eberswalde an den Antragsgegner vom 6.9.2021 schlugen alle bisher bekannt gewordenen Erben die Erbschaft aus. Mit Beschl. v. 24.6.2022 bestellte das AG Eberswalde Herrn Rechtsanwalt S. zum Nachlasspfleger für die unbekannten Erben nach Frau G. Dieser teilte dem Antragsgegner mit Schreiben vom 25.7.2022 mit, dass bislang kein Nachlassvermögen habe ermittelt werden können. Herr M. war bereits am … 2015 in A-Stadt verstorben. Nach Mitteilung des AG Ahlen an den Antragsgegner vom 18.1.2022 schlugen alle dort bekannten gesetzlichen Erben die Erbschaft aus. Es sei jedoch eine Verfügung von Todes wegen zugunsten der Antragstellerin eröffnet worden; eine Ausschlagungserklärung liege insoweit nicht vor, und eine Testamentsvollstreckung sei nicht angeordnet worden.
Mit streitgegenständlicher Ordnungsverfügung vom 31.1.2023 gab der Antragsgegner der Antragstellerin nach vorheriger Anhörung unter Anordnung der sofortigen Vollziehung auf, das ehemalige Wohngebäude bis zur Höhe der Fensterbrüstung im Erdgeschoss und die gekennzeichnete Hoftoranlage des ehemaligen Wohngebäudes vollständig zurückzubauen (Nr. 1 und 2), die gekennzeichneten Nebengebäude auf dem Grundstück in dem gekennzeichneten Bereich vollständig abzubrechen (Nr. 3), die durch den Abbruch freigelegte Grundstücksgrenze nach Abschluss der Abbruchmaßnahmen gegen ein Betreten des Grundstücks durch Unbefugte zu sichern (Nr. 4), die bei den angeordneten Abbrüchen anfallenden Abfälle nach Abfallarten getrennt zu erfassen und durch einen zertifizierten Entsorgungsfachbetrieb ordnungsgemäß zu entsorgen (Nr. 5) sowie entsprechende Entsorgungsnachweise vorzulegen (Nr. 6). Für den Fall, dass die Antragstellerin den einzelnen Anordnungen nicht innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung dieser Verfügung nachkommen sollte, droht er jeweils die Ersatzvornahme an, deren Kosten er auf voraussichtlich insgesamt 157.000 EUR bezifferte (Nr. 8-12). Zur Begründung führte er u.a. aus, die Antragstellerin könne als Inhaberin der tatsächlichen Gewalt über das Grundstück herangezogen werden. Nach dem Inhalt des notariellen Kaufvertrags vom 14.11.1995 sei der Besitz am Grundstück am 1.12.1995 auf Herrn M. übergegangen, ohne dass es hierfür noch weiterer Bedingungen bedurft hätte. Mit dessen Tod sei der Besitz gem. § 857 BGB auf die Antragstellerin als testamentarische Erbin übergegangen. Eine tatsächliche Besitzübernahme durch die Antragstellerin sei nicht erforderlich. Daher sei die Antragstellerin neben den bislang noch unbekannten Erben nach der eingetragenen Eigentümerin handlungspflichtig. Wie der gerichtlich bestellte Nachlasspfleger mitgeteilt habe, stünden ihm aus dem Nachlass offensichtlich keine Mittel für die erforderlichen Maßnahmen zur Verfügung. Die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der Antragstellerin sei ihm, dem Antragsgegner, nicht bekannt. Die räumliche Nähe zum Objekt dürfte keine entscheidende Rolle spielen, da insbesondere die umfangreichen Abbrucharbeiten weder vom Nachlasspfleger noch von der Antragstellerin selbst vorgenommen werden könnten. Die Verfügungsmöglichkeiten dürften dagegen eher bei der Antragstellerin liegen. Gleichwohl habe er sich dafür entschieden, die Antragstellerin zur Gefahrenabwehr heranzuziehen. Eine weitergehende Inanspruchnahme des Fiskus sei im Übrigen nicht möglich, da entsprechend § 1966 BGB ein Recht gegen den Fiskus als gesetzlichen Erben erst geltend gemacht werden könne, nachdem vom Nachlassgericht festgestellt worden sei, dass ein anderer Erbe nicht vorhanden sei. Dies sei hier jedoch nicht der Fall. Über den hiergegen von der Antragstellerin mit Schriftsatz vom 21.2.2023 erhobenen Widerspruch ist – soweit ersichtlich...